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VATTENFALL UND DIE LAUSITZ: „Erhebliche Gewerbesteuern“ versprochen Kampf gegen den Abstieg
Energie Cottbus spielt heute um den Verbleib in der Fußball-Bundesliga Die Region fiebert mit: Ein Erfolg wäre ein Symbol gegen die Krise der Lausitz
Stand:
NEUE STRUKTUR
Nach Umstrukturierungen im deutschen Vattenfall-Konzern in den vergangenen Monaten erhalten mehrere Städte erheblich geringere Gewerbesteuern. Grund: Die Firma will künftig nur noch ein Gesamtergebnis für den deutschen Konzern ausweisen.
LAUSITZ PROFITIERT
WEITER
Ein Vattenfall-Sprecher wies gestern allerdings darauf hin, dass es „keine Umverteilung zulasten des Lausitzer Reviers“ gebe. Der „Anteil der Lausitz an den von Vattenfall in Deutschland zu zahlenden Gewerbesteuern bleibe mit 58 Prozent konstant“.
WENIGER FÜR COTTBUS
Innerhalb der Lausitz werde es allerdings zu Umverteilungen der Gelder kommen, sagte der Sprecher weiter. Das beträfe vor allem die Städte. Ob die Verluste, wie beispielsweise in Cottbus befürchtet, viele Millionen Euro ausmachen, könne man derzeit noch nicht sagen.
RÜCKGÄNGE DURCH KRISE
Generell flössen 2009 Gewerbesteuern in Höhe von 114,8 Millionen Euro in Lausitzer Kommunen, sagte der Sprecher. Allerdings würden die Zahlungen wegen der Krise und steigender Belastungen beispielsweise durch den Emissionshandel künftig geringer ausfallen. das
Cottbus – Dieter Friese ist ziemlich verzweifelt. Und hin- und hergerissen zwischen seinen beiden großen Leidenschaften – dem Fußball und dem Theater. Beiden frönt der SPD- Landrat des Kreises Spree-Neiße mit Hingabe, aber am heutigen Donnerstag muss er sich entscheiden: Wenn das erste von zwei Relegationsspielen, mit denen sein Heimatverein Energie Cottbus noch den Klassenerhalt in der 1.Bundesliga schaffen kann, angepfiffen wird, sitzt Friese nicht im Stadion der Freundschaft. „Das ist sehr bitter für mich“, sagt der 60-Jährige, aber die Hauptprobe kann ich nicht verpassen. Bin ja froh, dass die mich mitspielen lassen.“
Die, das sind die Schauspieler des Cottbuser Staatstheaters, die ebenfalls heute ihre Hauptprobe zur „4. Spreewälder Sagennacht“ haben, die am Pfingstwochenende vor Tausenden Zuschauern am Bismarckturm in Burg aufgeführt wird. Das im vergangenen Jahr mit dem Tourismuspreis des Landes Brandenburg ausgezeichnete Spektakel erzählt die Geschichte der kleinen slawischen Stämme, die sich vor tausend Jahren gegen die Christianisierung zur Wehr setzten. Landrat Friese spielt Albrecht den Bären, einen Berater des Schwarzen Ritter und da dieser einer der wichtigsten Bösewichter in dem opulenten Spektakel ist, muss er auf das heutige Hinspiel gegen Nürnberg verzichten.
Sein Platz im Stadion der Freundschaft wird aber mit Sicherheit nicht leer bleiben. Bereits am Montag standen die Cottbuser nach Karten an den Stadionkassen an. Auch vor dem Energie-Fanshop in der Altstadt bildete sich eine lange Schlange. „Ich habe schon nicht mehr an den Klassenerhalt geglaubt“, sagt eine etwa 70-jährige Frau. „Aber nun müssen wir alle unsere Mannschaft unterstützen. Wir sind schließlich der letzte und einzige Ost-Klub in der Bundesliga.“
Die Begeisterung für die Relegationsspiele ist groß. Auch beim slowenischen Trainer der Cottbuser Bojan Prasnikar. „Wir spielen nicht Champions League und nicht Uefa-Cup“, sagte er bei der Pressekonferenz: „Und nun haben wir trotzdem zwei Spiele, für die ähnliche Regeln gelten.“
Die Regeln heißen: Alles oder nichts! – und genau das ist es, was die Cottbuser und viele Leute in der Niederlausitz offenbar so lieben. Nicht den mühsamen Kampf gegen den Abstieg mit hier mal einem Heimsieg und dort mal einem Punkt, sondern ein „Herzschlagfinale“. Dieser Enthusiasmus spült dem Verein noch einmal richtig Geld in die Kassen, schon am Dienstag hieß es, das Stadion sei ausverkauft. Und das, obwohl das Fernsehen die Spiele live überträgt. Die ganze Saison lang hatte es der Verein, mal abgesehen von den Top-Spielen beispielsweise gegen Bayern, nur mit vielen Sonderaktionen geschafft, die Ränge leidlich zu füllen. Mal gab es Studententickets für zwei Euro, dann wieder ermäßigte Karten für Frauen und Kinder. 22 528 Menschen ins Stadion zu bekommen, ist nicht leicht für eine nicht mehr ganz 100 000-Einwohner-Stadt.
Dieter Friese, der im Verwaltungsrat von Energie sitzt, weiß, was der Erstliga-Fußball für die Region bedeutet. „Energie ist nicht nur das beste Marketing für Cottbus und die Lausitz“, sagt er: „Energie ist auch ein Symbol dafür, wie man mit wenig Geld und viel Kampfgeist eine Menge erreichen kann. Das ist wichtig für das Selbstwertgefühl der Menschen hier – gerade in Krisenzeiten.“
Der Landrat denkt dabei auch an die ungewisse Zukunft vieler Firmen der Region – eine der größten, der Textilhersteller Trevira in Guben, ist gerade in einer schwierigen Situation.
Auch in Cottbus selbst ist die Lage nicht rosig. Die großen Hoffnungen, die viele in den neuen Oberbürgermeister Frank Szymanski setzten, haben sich nur zum Teil erfüllt. Zwar ist die Technische Universität jetzt zumindest verkehrstechnisch besser in das Stadtbild eingefügt, aber mehr Jobs oder nennenswerte Neuansiedlungen von Unternehmen gibt es nicht. Das erst vor zwei Jahren eröffnete Freizeitbad Lagune ist insolvent und die Umstrukturierung von Vattenfall beschert, wie berichtet, der Stadt Verluste an Steuereinnahmen in Millionenhöhe.
Vattenfall ist immerhin noch einer der Sponsoren von Energie, allerdings ist der Verein seit längerem auf der Suche nach einem neuen Hauptsponsor. Da der Vertrag mit Envia ausgelaufen ist, hat Energie sogar die Agentur von Günter Netzer eingeschaltet. Der erging sich in Lobeshymnen auf den mutigen und kampfstarken Ostverein, ein neuer Hauptsponsor ist aber bislang nicht gefunden.
So wird den Cottbusern auch da am Ende nichts anderes übrig bleiben, als auf die eigene Kraft zu vertrauen. Der FC Energie hat dadurch in den vergangenen Jahren viel an Professionalität gewonnen, was auch die gute Organisation der kurzfristig angesetzten Relegationsspiele zeigt. Nicht nur der Verkauf der Karten verlief reibungslos, es wurde auch bereits ein Sonderzug für das Rückspiel am Sonntag in Nürnberg organisiert. 850 Fans werden mit ihm fahren, tausende andere mit dem Auto.
Auch zu diesem Termin wird Landrat Friese nicht dabei sein. Die „Spreewälder Sagennacht“ wird sowohl am Sonnabend als auch am Sonntag und Montag aufgeführt.
Sandra Daßler
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