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Brandenburg: Erinnern, immer wieder erinnern

In Mahlow wurde der rassistischen Attacke auf den Briten Noel Martin vor zehn Jahren gedacht

Stand:

Mahlow - ?Man muss sich das mal vorstellen?, sagt ein Mahlower, ?der Mann ist noch nicht mal mehr in der Lage, sich seine eigenen Tr?nen abzuwischen.?

Ach was, sagt ein anderer: Das sei doch alles Gef?hlsduselei, Sensationsmache. Dass der Brite Noel Martin seit einer Attacke durch zwei junge Neonazis vor zehn Jahren vom Hals abw?rts gel?hmt ist, sei zwar ?nicht sch?n, aber auch nicht zu ?ndern. Jeder hat eben mal Pech im Leben. Und das ewige Hochputschen muss doch mal aufh?ren.?

Der Mann sagt das am Tag, nachdem Noel Martin angek?ndigt hat, er wolle sich das Leben nehmen.

Mahlow, zehn Jahre danach. Der damalige Tatort, inmitten satten Gr?ns am Glasower Damm, gegen?ber der Astrid- Lindgren-Grundschule. ?Pyramiden-Pappel? steht auf einem Schild am Baum. Auf dem Mahnmal, das f?nf Jahre nach dem ?bergriff auf den Stra?enseite gegen?ber installiert wurde, steht nichts, kein Satz, auch Blumen zum Jahrestag liegen nicht da. Es ist ein Feldstein, aus dem metallene Bl?tter wachsen ? neues Leben. Ein neues Leben muss der heute 46-J?hrige f?hren.

Das Potsdamer Landgericht zeichnete die Attacke ?aus d?mmlicher Ausl?nderfeindlichkeit?, wie der Vorsitzende Richter damals urteilte, folgenderma?en nach: Noel Martin aus Birmingham, als Bauarbeiter auf Montage in Mahlow, wird an jenem 16. Juni 1996 abends mit zwei ebenfalls farbigen Freunden auf dem Bahnhofsvorplatz von Sandro R., 17, und Mario P., 24, aus der rechten Szene Mahlows als ?Nigger? beschimpft. Die Schwarzen fahren mit dem Auto weg, die Wei?en im gestohlenen Wagen hinterher. Werfen einen Feldstein in das Auto von Martin und dr?ngen es ab. Gegen?ber der Grundschule prallt es an einen Baum. Noel Martins Kollegen werden leicht verletzt, er ist von einer Sekunde zur anderen querschnittgel?hmt. Ihre Haftstrafen haben die T?ter l?ngst verb??t, einer kam wegen guter F?hrung vorzeitig frei. ?Juden und Nigger an die Wand?, hatten sie nach der Tat im Haftraum des Landgerichts an die Wand geschmiert.

?Ich ging damals auf die Astrid-Lindgren-Schule, und wir haben Luftballons steigen lassen?, erinnert sich Julia, 15, aus dem Nachbarort Blankenfelde. Kathrina, 17, aus Mahlow, erz?hlt, ihr Freund kenne viele T?rken und Inder, ?die sind auch schon mal verfolgt und beleidigt worden.? Im Ort gebe es immer noch Rechte, ?bei den Spr?chen w?rde ich mich als Ausl?nder zum Beispiel gar nicht aufs Mahlower Pfingstfest trauen.? An ihrer Schule w?rden Handys auf Filme mit rechtem Inhalt kontrolliert, ?und immer wieder werden welche eingezogen.? Karsten, 14, sagt, als der Gel?hmte im Rollstuhl vor f?nf Jahren an seiner Schule war, ?haben einige Kinder geweint?.

Jasmin Weinert wohnt im selben Geb?udekomplex wie einer der T?ter. Die 17-J?hrige war schon bei Noel Martin zu Hause, vor zwei Jahren mit einer Gruppe von der Oberschule. ?Sein Lebensmut hat mich sehr ber?hrt. Echt heftig, wenn ich jetzt h?re, dass er sich umbringen will.? Finanziert hat die Begegnungen der Noel-und-Jackie-Martin-Fonds, den das einst sportbegeisterte Opfer nach der Attacke ins Leben rief. 24 Stunden t?glich braucht Martin Pfleger um sich herum, die ihm die Zigarette halten, mit ihm auf die Toilette gehen, ihn nachts im Bett umdrehen. In seinem Garten ist das Grab seiner Frau Jackie. Erst verlor Noel Martin die Gewalt ?ber seinen K?rper, dann seine Frau an den Krebs. ?Wir haben ein Geschw?r im Land, in vielen L?ndern?, hatte er am 16. Juni 2001 in Mahlow gesagt, bei seinem mahnenden Besuch zum f?nften Jahrestag ? und damit die Fremdenfeindlichkeit gemeint.

Zehn Jahre Leben im Kerker des eigenen K?rpers wolle er versuchen, hat er nach dem Unfall gesagt. Die Probe ist vorbei. N?chstes Jahr, k?ndigte Noel Martin jetzt am Freitag in Birmingham an, werde er sich mit Sterbehelfern au?erhalb Englands selbst t?ten. Es sei die einzige Freiheit, die ihm geblieben sei. Vor f?nf Jahren wollte er den Nazis in Mahlow zeigen, dass er noch da ist. Jetzt will er freiwillig gehen.

Die T?ter? Jasmin Weinert sagt, die Nachbarn erkl?ren das heute so, dass das im ?bermut geschehen sei. Die Mutter von Sandro R. nehme ihn in Schutz.

?Coffee to go! Snacks? ? der Laden im Bahnhof bietet viel an in der Sprache des Landes von Noel Martin. Drau?en steht ?Better Run Nazis? an der Wand ? oft waren hier Hakenkreuze zu sehen. Im Nachbarhaus bietet Jamie Heinrich-Stewart, geb?rtiger Australier, Englisch-Kurse an. Er ist vor 14 Jahren der Liebe wegen hierher gezogenen. ?Ich f?hle mich wohl?, sagt er mit britischem Akzent. Es gebe viele Szenen in Mahlow: HipHoper, Punks, nicht nur Nazis. Jetzt am zehnten Jahrestag war er ?mit einem ?berschaubaren Gr?ppchen? auf dem Ged?chtnismarsch zum Mahnmal. Am Rande standen ein paar Skinheads. Im ?City Grill Bistro? von Halid Demir am Bahnhof schimpfen M?nner ?ber die Beh?rden, die Bauarbeitern das Leben schwer machen. Halid Demirs D?ner-Imbisse wurden in Brandenburg schon vielerorts angez?ndet.

An diesem Tag in Mahlow sieht man die Deutschlandflaggen an den Fenstern und Autos mit anderen Augen.

Annette K?gel

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