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Brandenburg: „Es ist keine Beleidigung, in Hellersdorf-Nord zu wohnen“

Berlins Ex-Senator Sarrazin warnt vor Eingriffen in die Mietenentwicklung

Stand:

Herr Sarrazin, um den Druck vom Berliner Wohnungsmarkt zu nehmen, wird eine Senkung der Mieten landeseigener Wohnungen gefordert. Was halten Sie davon?

Der Staat sollte mit seinen langen Fingern nicht hineinfummeln in die Gesellschaften, sondern sich heraushalten. Wohnungsbestände zu halten und zu sanieren, das ist der wesentliche Beitrag der Gesellschaften dazu, dass ein Quartier nicht abdriftet. Damit die Gesobau jetzt 300 Millionen Euro in das Märkische Viertel investieren kann, ohne staatliche Zuschüsse zu benötigen, muss sie mit auskömmlichen Mieten arbeiten dürfen. Daraus werden die Sanierungen bezahlt. Darin unterscheiden sich Wohnungsbaugesellschaften nicht von anderen landeseigenen Betrieben wie der BVG: Sie brauchen das Geld ihrer Kunden und vernünftige Preise, wenn sie funktionieren sollen.

Als Finanzsenator haben Sie Wohnungsbaugesellschaften ermuntert, Mieten anzuheben, um Verluste abzubauen. Ist inzwischen ein kritisches Niveau erreicht?

Die Wohnungspolitik ist nicht dazu da, Menschen zusätzliche Renten zu verschaffen. Und es besteht kein Grund, dass der Berliner weniger Wohnkosten im Verhältnis zu seinem Einkommen aufwendet, als es Menschen anderswo tun. Die Mieten in Berlin haben sich in den letzten Jahren normalen Marktverhältnissen angepasst. Wenn man fünf bis acht Euro pro Quadratmeter für eine Wohnung mittlerer Qualität bezahlt, ist das völlig normal. Die Wohnbelastung nach Abzug des Wohngelds ist im Verhältnis zu den verfügbaren Einkommen nirgendwo so niedrig wie in Berlin. Und für die 20 Prozent der Berliner Bevölkerung, die von Grundsicherung leben, zahlt sowieso der Staat die Miete. Wenn Berlin, was sich abzeichnet, Anschluss an die Entwicklung wirtschaftlich bessergestellter Städte bekommt, werden sich auch die Mieten entsprechend bewegen. Wir leben nicht auf einer Insel, auf der man sich vom Rest Deutschlands abkoppeln kann.

Und aus dem Zentrum werden Haushalte mit geringen Einkommen vertrieben

Es ist nicht menschenrechtswidrig, wenn man nicht am Kollwitzplatz wohnen kann. Und es ist auch keine Beleidigung, in Hellersdorf-Nord zu wohnen. Solange die Menschen würdig in vernünftigen Wohnungen untergebracht sind, in einem Gebiet mit vernünftiger sozialer Infrastruktur, und sie ihren Arbeitsplatz in zumutbarer Zeit erreichen können, hat der Staat seine Pflicht getan. Es gehört nicht zu dessen Aufgaben, Kiezprivilegien zu konservieren. Es ist doch klar, dass in einer Stadt mit 3,4 Millionen Einwohnern nicht alle in einer begünstigten zentralen Lage wohnen können.

Weil die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften vor allen Dingen Wirtschaftsunternehmen sind?

Landeseigene Unternehmen waren über Jahrzehnte ein Abflussloch für Cash, weil die Berliner Politik anders aufgestellt war. Überall gab es Defizite, und es wurde bezuschusst. Als ich Finanzsenator und für die Beteiligungen zuständig wurde, gab es ein Gutachten von Ernst&Young, wonach alle Wohnungsunternehmen nahe an der Pleite stehen. Als ich den Senat verließ, waren die Schulden um zwei Milliarden Euro gesenkt und sie machten Überschüsse. Trotzdem arbeiten die Wohnungsbaugesellschaften innerhalb des sozialen Mietrechts. Die Unternehmen brauchen klare Vorgaben und müssen innerhalb dieses Rahmens selbstständig wirtschaften können. Im Übrigen sind von den 1,6 Millionen Wohnungen in Berlin 270 000 in der Hand staatlicher Firmen. Das ist nur ein Teil des Marktes, dessen Einfluss man nicht überschätzen darf. Das Wohngeld ist dazu da, dass die Mietkosten für Haushalte mit niedrigen Einkommen in einer tragbaren Belastung bleiben.

Das Interview führte Ralf Schönball

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