zum Hauptinhalt

Brandenburg: Faible fürs Fachwerk

Im ältesten Kolonistendorf des Oderbruchs ist inzwischen nahezu jeder zweite Einwohner ein Zuzügler. Der Bürgermeister sucht seit 2004 „Neu-Kolonisten“ für seine verlassenen Fachwerk-Gehöfte und findet sie auch – allerdings gehen ihm jetzt die Häuser aus.

Stand:

Neulietzegöricke - Das große alte Fachwerkhaus inmitten des historischen Dorfkerns von Neulietzegöricke (Märkisch-Oderland) wirkt, als könne es der nächste Windstoß einfach umschubsen. Sämtliche Außenwände der Nummer 27 sind schief, die Fachwerkbalken verbogen, das Feldsteinfundament abgesackt. Seit mehr als 20 Jahren steht es leer. Es drohte endgültig zu verfallen. Ramona und Thomas Schubert aber verliebten sich in diese Ruine aus dem 19. Jahrhundert, kauften den leer stehenden Hof einem Landwirt ab und bauen das Haus nun Stück für Stück wieder auf.

„Wir wollten schon immer ins Oderbruch“, sagt Ramona Schubert, die im Berliner Speckgürtel ein Transportunternehmen betreibt. Eigentlich suchten sie und ihr Mann einen Rückzugsort für die Wochenenden. Nun aber will das Paar aus Fredersdorf (Märkisch-Oderland) hier spätestens im Herbst 2017 eine Oderbruch-Landpension eröffnen.

Fünf Gästezimmer und eine Ferienwohnung sollen entstehen, sehr zur Freude von Neulietzegörickes Bürgermeister Horst Wilke. „So etwas brauchen wir unbedingt noch, wegen der vielen Touristen“, sagt der 63-Jährige. An den Wochenenden führt er im Gewand eines historischen Dorfschulzen Besucher durch „Lietze“, wie die Einheimischen ihren inzwischen denkmalgeschützten Ort kurz nennen. Es ist nicht nur das älteste Kolonistendorf, das 1753 nach der Trockenlegung des Oderbruchs durch Friedrich II. entstand. Neulietzegöricke gilt zudem als das Dorf mit der höchsten Fachwerkdichte in Brandenburg.

Mehr als zwei Dutzend der schmucken sanierten Häuser mit der typischen zweiflügeligen Eingangstür säumen zu beiden Seiten den grünen Anger des Dorfes. „Aus Lehmziegeln und Holzbalken erbaut, sind sie ideal für das Oderbruch mit seinen schwankenden Grundwasserständen. Die Last verteilt sich über die ineinander gesteckten Balken gut“, weiß der Bürgermeister. Doch immer mehr der alteingesessenen Kolonistenfamilien zogen fort aus Neulietzegöricke. Denn Arbeit gibt es in der dünn besiedelten Region 70 Kilometer östlich von Berlin kaum. Zweieinhalb Kilometer hinter dem Oderdeich lebt es sich weit ab vom Schuss. Ohne Auto sind Schule, Kita, Einkaufszentren oder Ärzte nicht zu erreichen.

„Das Oderbruch war schon nach der Trockenlegung Zuzugsort und ist es eben bis heute“, sagt Bürgermeister Wilke, der 2004 werbewirksam begann, „Neu-Kolonisten“ für das immer leerer werdende Dorf zu suchen. Er konnte den Niedergang tatsächlich stoppen, inzwischen ist fast jeder zweite Bewohner kein Einheimischer. „Die Zahlen waren alarmierend. Ohne die Zuzügler wäre das ein sterbender Ort“, ist das ehrenamtliche Gemeindeoberhaupt überzeugt.

Wilke selbst zog 1977 aus einem Nachbarort nach „Lietze“. Der Eisenbahner im Ruhestand vermittelte Käufer an Verkäufer, unterstützte Neuankömmlinge, vermittelte ihnen ortsansässige Handwerker und Ratschläge zu möglichen Fördermittelquellen. Inzwischen ist die Einwohnerzahl in Neulietzegöricke mit 220 stabil, Fachwerkhäuser aber werden mittlerweile knapp.

„Übrig sind nur noch zwei, drei Problemfälle, bei denen Grundstück und Immobilie mit Hypotheken belastet sind oder Erben sich nicht einigen können“, sagt Wilke. Unbebaute Baugrundstücke gibt es dagegen in „Lietze“ noch. „Doch merkwürdigerweise sind potenzielle Neu-Kolonisten nur an den alten Bauernhäusern interessiert. Die wollen gar nicht neu bauen.“

So geht es auch den Schuberts, denen es der Charme des alten Fachwerks angetan hat. „Ohne Fördermittel würde der Wiederaufbau des Hauses allerdings nicht gelingen“, sagt Thomas Schubert, der zu den genauen Investitionskosten lieber schweigt. „Es wird teurer als ein reiner Neubau“, deutet der 44-jährige Tischler lediglich an. Sämtliche Balken des Fachwerkes des Hauses müssen erneuert, die schiefen Außenwände nach und nach abgetragen und neu aufgebaut werden.

„Wir sind froh, dass die alten, verlassenen Gehöfte wieder auf Vordermann gebracht werden“, sagt Martina Herrlich-Gryzan, deren Familie zu den Alteingesessenen im Ort gehört. Seit zwei Jahren betreibt die gelernte Pferdewirtin in der alten Dorfschule ein Café.

„Erst durch die Gäste, die von Lietze schwärmen, wenn sie hier sind, ist mir bewusst geworden, wie schön wir tatsächlich hier leben“, bekennt sie.

Jeanette Bederke

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })