
© dpa
„FALSCHE FREIHEIT“: Fanmeile für die Demokratie
Die Bundesrepublik wurde 60: Rund 700 000 Menschen machten die Straße des 17. Juni zum Partyort
Stand:
Techno-Musik, kurze Dispute mit der Polizei, kaum Handgreiflichkeiten: Die „Antinationale Parade" in Prenzlauer Berg blieb am Samstagabend weitgehend friedlich. Nach Angaben der Polizei marschierten etwa 2000 Teilnehmer von rund 30 linksradikalen Gruppen unter dem Motto „gegen die falsche Freiheit“ vom Rosa-Luxemburg-Platz bis zur Oderberger Straße. Ihr Protest sollte ein Gegenpol zum Bürgerfest anlässlich des 60-jährigen Jubiläums der Bundesrepublik sein. Vier Lautsprecherwagen hämmerten Techno, auf Transparenten hieß es: „Echte Freiheit wäre viel cooler“ oder „Luxus für alle!“. Hin und wieder drängte die Polizei auf die Einhaltung der Auflagen. Gegen 22 Uhr endete der Umzug wie geplant. Florian Ernst
Berlin - Das war kein Straßenfest wie jedes andere. Die Bundesrepublik Deutschland bekam am Sonnabend auf der diesmal politischen Partymeile entlang der Straße des 17. Juni eine große Feier zum 60. Geburtstag ausgerichtet. Etwa 700 000 Besucher kamen nach Schätzungen des Bundespresseamtes. Sie brachten als Geschenk jede Menge gute Laune mit – und viel Optimismus. „Über Deutschland wird ja gern gemeckert“, sagt 46-jährige Rainer Schmidt aus Berlin-Reinickendorf. „Aber ich finde, dieser Staat bietet trotz aller Unzulänglichkeiten sehr viel mehr als andere Länder: Demokratie, Freiheit, Menschenrechte.“
Zehntausende Besucher strömten schon vormittags ab 10 Uhr über die Feiermeile zwischen Brandenburger Tor und Kleinem Stern, vorbei an den rund 90 strahlend weißen Feier- und Infozelten, an Rothaargebirgspuffern und Sex-on-the-Beach-Ständen. Trotz der Menschenmassen blieb nach Angaben der Polizei alles friedlich.
Kurz vor 17 Uhr nahmen auch der wiedergewählte Bundespräsident Horst Köhler mit seiner Frau Eva Luise und Kanzlerin Angela Merkel in Begleitung ihres Ehemannes Joachim Sauer auf der Ehrentribüne vor dem Brandenburger Tor Platz und genossen eines der populärsten Werke der Klassischen Musik: Die Berliner Staatskapelle spielte unter der Leitung von Daniel Barenboim passend zum Republik-Geburtstag Beethovens neunte Symphonie.
Unberührt vom Fest wurde auf der nahen Wiese vor dem Schloss Bellevue eifrig gegrillt. Unterdessen war man auch beim Bürgerfest in den Ministergärten guter Laune. Abends spielten und sangen unter den Plexiglasbühnenkuppeln zur Feier des Tages die Band Pur und Udo Jürgens, Otto Waalkes, die 17 Hippies und The Boss Hoss. Moderator Thomas Gottschalk führte den Nachmittag über Gespräche mit Prominenten aus Sport und Musik und ließ die Geschichte der Bundesrepublik Revue passieren. Auf der Festmeile, etwa im Zelt des Bundesrates, gab politische Prominenz ein Stelldichein. Mehrere Ministerpräsidenten beantworteten Fragen zur deutschen Geschichte, Klaus Wowereit kommentierte kurz nach dem Ende der Bundesversammlung die Wiederwahl Horst Köhlers. Aber auch weniger prominente Zeitzeugen kamen hier und da zu Wort.
20 Jahre Mauerfall, dieses Jubiläum beschäftigte Tina Theile, gebürtige Berlinerin aus Prenzlauer Berg, am deutschen Feiertag. „Ich bin mit einem Wessi zusammen, und bei uns ist die unterschiedliche Sozialisation noch oft ein Thema.“ Gemeinsam mit ihrer Tochter Anna-Katinka ließ sich die Bürgerfestbesucherin als Bundestagsrednerin fotografieren. Hinterm Pult, im typisch blaugrauen Ambiente. Die Leute standen hier im Bundestagspavillon Schlange. Die beliebtesten Fotomotive des Tages waren die Promis auf der Bühne – man sah sie auch auf den Bildschirmen entlang der Feiermeile, da, wo schon die Technojünger feierten und Obama als Noch-Nicht-Präsident sprach. Gefragt war auch das Motiv „Ich und die Trachtenträger“ sowie „Ich und die deutschen Panzer und Soldaten“. Nick Zhang aus China stand neben einem Feldjäger. Bei den Paralympics in Peking 2009 war er Fackelträger. „Deutschland ist bei uns schon lange präsent, in Schanghai gibt es viele Vertretungen deutscher Firmen.“ Was er mit Deutschland assoziiert? „Qualität.“ Die chinesische Touristin Cindy Huang sagt: „Humor – den hat mein deutscher Chef.“
Den bewies auf der ZDF-Bühne Eislauf-Star Katarina Witt. Was sie der „BRD“ zum Geburtstag wünsche, fragte Sportstudio-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein augenzwinkernd im alten DDR-Sprachgebrauch. „Eine friedliche Zukunft, eine wirtschaftlich positive Entwicklung – und dass ihr nie die Bananen ausgehen.“ Neben ihr parlierte die Paralympic-Medaillengewinnerin im Behindertenschwimmen, Kirsten Bruhn.
Derweil warb die Bundeswehr um Nachwuchs. Im Flugsimulator stieg man virtuell in einen Tornado. „Das rumpelt ja wie in meinem Smart“, entfährt es Festbesucherin Gabi Schmidt. Sie sackte auch jede Menge Materialien zum Umweltschutz ein. Zudem gab es noch Broschüren von 80 weiteren Institutionen, mit Infos zur Verbraucherzentrale bis zu Nationalen Minderheiten. Edgar Linder und Barbara Klein hatten wohl die beschwerlichste Anreise hinter sich: Die beiden kamen aus dem baden-württembergischen Walldürn mit Bahn und Rad nach Berlin.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: