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Brandenburg: Feierlaune in Kreuzberg

Zehntausende Besucher feierten gestern friedlich das „Myfest“ / In der Walpurgisnacht nahm die Polizei 119 Randalierer fest

Stand:

Natalie und ihre Mädels rockten ordentlich. „Müssen nur wollen!“, sangen die zehn Jahre alten Mädchen auf dem Kreuzberger „Myfest“. Der Song stammt eigentlich von „Wir sind Helden“, doch Natalies Rockband „Tinitus“ trug das Lied so energisch-laut vor, dass selbst die Punks fröhlich mitwippten. Applaus, Applaus!

So friedlich ging es bis zum späten Nachmittag überall zu auf dem diesjährigen „Myfest“. Viele zehntausend Menschen waren bei wunderbarem Sommerwetter in den Kreuzberger Kiez gekommen, um den 1. Mai zu begehen. In den Straßen waberte der Dampf der Grills; Yogi-Tee und kühles Pils wurde verkauft, auf den Bühnen feierten Musiker und Breakdancer. Am Abend wurden auf dem Oranienplatz die linken Alt-Protest-Rocker von „Ton, Steine, Scherben“ erwartet. Dort sonnten sich am Nachmittag bereits hunderte. Am Abend (nach Redaktionsschluss) sollte dann auch die zweite „Revolutionäre 1. Mai-Demo“ vom Lausitzer Platz bis zum Spreewaldplatz führen, bei der es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Randale und erheblichen Sachschäden kam.

Die Polizei, die in den vergangenen beiden Tagen mit 5000 Polizisten im Einsatz war, hielt sich in den Seitenstraßen zurück – stattdessen suchten gut gelaunte Polizisten immer wieder den Kontakt zum Bürger; auf Kreuzbergs Straßen waren mehr Kinderwagen zu sehen als Polizei-Wannen. „Unser Konzept der Deeskalation und des konsequenten Einschreitens gegen Gewalt ist aufgegangen“, sagte Polizeipräsident Dieter Glietsch bei einer ersten Einschätzung am Mittag.

Anders verlief der Abend zuvor. In der Walpurgisnacht hatte die Polizei 119 Menschen festgenommen, als diese aus einer Gruppe von 1500 Personen am Boxhagener Platz in Friedrichshain mit der Randale begannen (siehe Beitrag unten). Das sind deutlich mehr Festgenommene als 2006, als die Polizei 72 Personen in Gewahrsam nahm. „Die Änderung unseres Einsatzkonzeptes hat in erster Linie zu weniger Gewalt geführt, aber auch zu mehr Festnahmen“, sagte Polizeipräsident Dieter Glietsch. Es seien gezielt „Rädelsführer“ aufgegriffen worden. Im Vorjahr seien die Beamten vieler Gewalttätiger nicht habhaft geworden.

Attackiert wurden in jener Nacht auch Journalisten: Am Boxhagener Platz wurde ein Fotograf gezielt angegriffen, seine Kamera wurde zerstört. Auch Fernsehteams wurden behindert. Es wurden Feuerwerkskörper gezündet; insgesamt 15 Polizisten wurden verletzt. Ein Beamter erlitt einen Jochbeinbruch und kam ins Krankenhaus. Am frühen Morgen wurden in Friedrichshain mehrere Autos angezündet. Im Mauerpark in Prenzlauer Berg hingegen blieb es ruhig.

Doch die Polizei hatte die Lage tags darauf stets im Griff. Die einzigen deutlich erkennbaren Polizisten im Kiez rund um den Kreuzberger Mariannenplatz waren ältere Beamte, die kleinen Kindern das Fahrrad-fahren auf einem Parcours beibrachten. Und nur wenige Meter entfernt hatte auch die Feuerwehr sich für die Kinder etwas einfallen lassen. Mit Spritzpistolen konnten sie Blechdosen von einem Podest schießen. Sehr zur Freude der Kinder – und der Eltern. Eine Mutter aus Pankow lobte das Myfest auch deshalb, „weil die Kinder nicht für alles Geld zahlen müssen – anders als beim Internationalen Kinderfest vor einer Woche“.

Von Stress und Hektik und Krawalltouristen war nichts zu spüren und zu sehen. Viele Anwohner freuten sich über die vielen Familien, „schließlich nehmen wir so den Randalierern den Platz“, sagte eine Mutter nahe dem Oranienplatz. Dort startete am Nachmittag die erste „Revolutionäre 1.-Mai-Demo“ zum Lausitzer Platz mit etwa 600 Teilnehmern; es blieb ebenso friedlich wie anfangs auch bei der Mayday-Parade mit 2500 Teilnehmern. Die Stimmung war fröhlich mit spaßig-kernigen Parolen wie „1-Euro-Jobs für Cops“. Ein wenig erinnerte die Parade mit Lautsprecher- Boxen auf den Lastwagen an die Love Parade im Tiergarten.

Unter dem Motto „Du hast mehr verdient“ zogen am vormittag Gewerkschafter vom Wittenbergplatz zum Brandenburger Tor und protestierten gegen Lohndumping und für Mindestlöhne. Nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) wurden rund 12 000 Teilnehmer gezählt.AG/ha/fan

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