Brandenburg: Feines aus Resten
Wie ein Berliner Lokal alte Lebensmittel rettet
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Berlin - Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist fast abgelaufen, die Verpackung beschädigt oder Obst und Gemüse sind nicht mehr ganz makellos: Es gibt viele Gründe, warum Händler ihre Lebensmittel nicht mehr loswerden. In Berlin hat der Verein „Restlos glücklich“ das gleichnamige Restaurant eröffnet, das sich dieser vermeintlichen Ausschussware annimmt. In dem kleinen Lokal in einer Neuköllner Seitenstraße werden fast ausschließlich gespendete Lebensmittel verarbeitet. „Wir wollen, dass Lebensmittel wieder wertgeschätzt werden“, sagt derVereinsvorsitzende Leonie Beckmann.
Obst und Gemüse, Backwaren und Molkereiprodukte kommen beispielsweise von zwei Biomärkten, ein anderer Händler beliefert das Restaurant mit Schokolade aus Ecuador, bei der die Verpackung beschädigt ist. Auch Espresso und Wein sind Spenden. „Man findet fast alles, was man braucht“, so Beckmann. Nur einige Dinge wie etwa Gewürze, Öl und Mehl kaufe das Restaurant zu.
Weil sich aus kurzfristigen Spenden nicht langfristig Menüs planen lassen, steht Koch Daniel Roick an vier Tagen pro Woche immer wieder vor einer neuen Herausforderung. „Kistenweise Ingwer und Avocado waren bisher die größten Herausforderungen“, sagt der Koch, der erst einmal überlegen musste, was man außer Ingwer-Tee und Guacamole noch machen kann. Seinen Gästen kredenzte er schließlich unter anderem gegrillte Avocados und Salate mit Ingwerdressing. Der 27 Jahre alte gebürtige Lausitzer hat bereits in gehobenen Restaurants und bei einem Fleischer gearbeitet.
„Die Speisekarte entwickeln wir immer erst im Lauf des Nachmittags“, erklärt Leoni Beckmann. In den vergangenen Tagen gab es Teltower Rübchen in Apfeldressing, Rotweinschalotten, knusprige Sesambällchen mit Möhren-Ingwer-Soße und Radieschen-Birnen-Ragout oder Weißwein-Wirsing Suppe.
Drei Mitarbeiter hat das Restaurant und eine Gemeinschaft aus etwa 60 Helfern. „Ob es sich langfristig trägt, können wir noch nicht sagen“, sagt Beckmann fast zwei Monate nach der Eröffnung. Geld verdiene der Verein auch mit Workshops und Caterings. Die Einnahmen stecke das Team in Bildungsarbeit an Schulen gegen Lebensmittelverschwendung.
Laut Bundesministerium für Ernährung werfen Industrie, Handel, Großverbraucher und Privathaushalte jährlich elf Millionen Tonnen Lebensmittel weg. „Unser Ziel ist es, die vermeidbaren Lebensmittelabfälle bis zum Jahr 2030 zu halbieren“, heißt es vom Ministerium, das eine Informationskampagne gestartet hat. Minister Christian Schmidt (CSU) zeichnet zudem Vereine, Initiativen und Unternehmer regelmäßig beim Wettbewerb „Zu gut für die Tonne“ aus. Allein 2016 gab es mehr als 230 Bewerber.
Zu den wohl bekanntesten Lebensmittelrettern zählten in den vergangenen Jahren Menschen, die containerten, also nachts in Mülltonnen nach Verzehrbarem suchten. Das geht auch im Internet: Auf der Plattform „Foodsharing“ können Nutzer Essenskörbe anbieten, die Interessenten kostenlos abholen können. Auch die Berliner Jon Frisk und Mai Goth retten Lebensmittel vor der Tonne – mit ihrer App „Too good to go“. Sie bietet Bäckereien, Imbissen und Restaurants eine Plattform, auf der sie zum Ladenschluss Essensboxen abgeben können. Anja Sokolow
Anja Sokolow
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