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Kommentar: Gaulands Volonté générale
Die Sorge vor den Worten von Alexander Gauland, vor einem rechtspopulistischen Ausfall – wie er der AfD zurecht zugetraut wird - war umsonst. Dennoch hat der Alterspräsident in seiner Eröffnungsrede im Landtag etwas über sein Weltbild offenbart. Ein Kommentar.
Stand:
Die Provokation blieb aus. Vielmehr hielt Alexander Gauland, der kluge Konservative eine kluge, staatstragende Rede. Die Sorge vor den Worten des AfD-Landeschefs war umsonst. Jene Angst vieler Parlamentarier, wie sie die Linke-Abgeordnete Isabell Vandre bei ihrem Protest vor dem Landtag gegen Gauland formulierte, nämlich sich über die Rede des Alterspräsidentin zur Eröffnung des neuen Landtags kritisch äußern und auf Distanz gehen zu müssen. Ein bisschen war die Sorge vor einem rechtspopulistischen Ausfall – wie er der AfD in diesen Tagen zurecht zugetraut wird – auch unbegründet, jedenfalls bei Gauland. Er weiß um die Würde des Hauses und um die Würde, die von einem Alterspräsidenten erwartet wird. Er gab sich als Staatsmann.
Und seine Rede erst. Statt Fontane bemühte er den Staatsphilosophen Edmund Burke aus Großbritannien, dem Mutterland der Demokratie, den Vater des Konservatismus. Gauland widmete sich der Frage, wem der Abgeordnete in einer immer komplizierter werdenden Welt verpflichtet ist: Dem Wählerauftrag oder seinem Gewissen. Gaulands Plädoyer gegen das imperative und für das freie Mandat war eine intelligente demokratietheoretische Abhandlung über einen Verfassungsgrundsatz. Vielleicht entfalten Gaulands staatstragende Worte ihre größte Kraft gegenüber den übrigen neun AfD-Abgeordneten der AfD, von denen einige eine Rechtsaußen-Vergangenheit haben. Weil Gauland im Kern davor warnt, auf Stammtisch-Parolen zu hören, seine Fahne nach dem Wind zu drehen und sich auf die angebliche Vox populi, Volkes Stimme, zu berufen, also Populismus zu betreiben.
Nichts auszusetzen also an Gaulands Rede? Doch! Er stellt fest, dass sich immer mehr Menschen in diversen Interessengruppen engagieren, woraus eine „Zunahme der Konflikte über mögliche Politikalternativen“ folgt. Gauland beklagt die „Entgrenzung von Sonderinteressen in Konkurrenz zur Gemeinwohlorientierung“, also die „sukzessive Auflösung eines sozialen Gefüges, das sich bislang in Form von gemeinsamen Werten und Zielen konkretisierte“. Weil selbst die Politik kaum mehr in der Lage sei, eine Gemeinwohlorientierung herzustellen, würden immer weniger Bürger wählen und sich stattdessen in der Zivilgesellschaft engagieren. Gaulands Problem damit ist, dass daraus kein „neuer gemeinsamer Wille, ein belastbarer Volonté générale entsteht“, was Hunderte Bürgerinitiativen im ganzen Land belegen würden. Dieser „Volonté générale“, der allgemeine Wille, der Gemeinwille des Volkes: Wieder ein Rückgriff auf einen Philisophen, diesmal Jean-Jacques Rousseau.
Hier präsentiert sich Gauland als der intellektuelleKonservative, der er ist. Und auch was seine Partei ist: „Angry White Men“, zornige weißer Männer, die ihr Problem mit der Diversität und Komplexität der Postmoderne haben.
Denn es spricht gerade für die Demokratie, für die Bürger, dass sie sich heute viel stärker in Initiativen engagieren und ihre Interessen artikulieren, die nicht mehr nur Staatsbürger sein wollen, die sich nicht mehr einem „Volonté générale“ der Republik blind unterordnen. In Initiativen gegen Windräder, gegen Schweinemastanlagen, gegen hohe Abwassergebühren – und es waren Fluglärmgegner, die die Regierenden zum Umlenken gezwungen haben. Politisches Engagement entsteht aus persönlicher Betroffenheit. Wähler werden da zu Bürgern. Dass Brandenburg am 14. September ein historisch niedriges Wahlergebnis erlebte, hat nichts zu tun mit dem angeblich fehlenden „Volonté générale“. Gibt es den überhaupt noch? Gauland hält ihn für wünschenswert. Aber die Zeiten ändern sich. Die neue Landtagspräsidentin Britta Stark hat es verstanden. Sie will die Demokratie, das Parlament für die Bürger erlebbarer machen.
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