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Von Werner van Bebber: Gefährlicher Cocktail

Zwei Mai-Randalierer stehen in Berlin wegen versuchten Mordes vor Gericht Die linke Szene reagiert zunehmend aggressiv auf die Polizei

Stand:

Berlin - Versuchter Mord: So lautet die Anklage gegen zwei junge Männer, die am 1. Mai einen Molotow-Cocktail auf Polizisten geschleudert haben. Die Verhandlung gegen den Abiturienten Yunus K. (19) und den Schüler Rigo B. (17) soll am morgigen Dienstag beginnen. Der selbstgebaute Brandsatz verfehlte die Polizisten, traf aber eine Passantin und verletzte sie schwer.

Eine Mordanklage nach der rituellen Mai-Randale hat es noch nicht gegeben. Dass nun zum ersten Mal ein Kapitalverbrechen angeklagt wird, ist auch ein Zeichen dafür, dass Teile der linken Szene gewalttätiger geworden sind. Das hat sich nicht nur bei dem Anschlag mit dem Molotow-Cocktail gezeigt, der jetzt verhandelt wird. Während der Mai-Randale gerieten auch andere Polizisten in Lebensgefahr, als ein Unbekannter eine brennbare Flüssigkeit verschüttete und ein Beamter Feuer fing. Und auch bei anderen Gelegenheiten bekommen Polizisten vermehrt Widerstand zu spüren.

So waren bei einer Demonstration im März Polizisten ohne erkennbaren Anlass mit Steinen beworfen worden. Am Rande derselben Demonstration in Friedrichshain kippten Randalierer eine Streifenwagen um. Im April kursierten in Neukölln Aufrufe, Polizeiautos in Brand zu stecken und „die Bullen aus unserem Kiez“ zu vertreiben. Und immer mal wieder flogen Brandsätze gegen Polizeigebäude.

Die neue Gewaltbereitschaft hat nach allen Äußerungen aus der linksradikalen Szene mit der „Gentrifizierung“ zu tun: der Entwicklung von immer mehr Innenstadtkiezen zu besseren Wohngebieten mit höheren Mieten und einem höheren Anteil von Wohneigentum. Deswegen hat es in einem Friedrichshainer Szeneviertel Anschläge einer Gruppe „Autonome Stinktiere“ mit Buttersäure gegeben. Sie wollten „Cocktailtrinker und feine Schnösel aus den Bars“ vertreiben.

Etwas weiter nördlich, in der Gegend um die Rigaer Straße, haben Polizisten immer mal wieder Probleme. Wenn sie gegen Leute vorgehen, die etwas zu laut auf der Straße feiern oder illegal Plakate kleben, müssen die Beamten damit rechnen, auch persönlich angegangen zu werden. Das hat damit zu tun, dass hier zwei Hausbesetzerprojekte gegen die „Gentrifizierung“ stehen – die letzten Symbole aus einer Zeit, in der dieser Teil von Friedrichshain noch nicht schick, dafür aber wild und preiswert war. Ein Kiez im Übergang ist die Gegend um die Rigaer Straße, ein bisschen wie Kreuzberg in den ruppigeren Bereichen, ein bisschen wie Prenzlauer Berg, wo junge Mütter mit schicken Frisuren Kinderwagen durch die Gegend schieben. „Free Alex“ hat jemand an die Fassade eines Hauses in der Rigaer Straße gesprüht – eine Solidaritätsadresse für die junge Frau, die verdächtigt wird, ein paar Autos angezündet zu haben, und deshalb in Untersuchungshaft ist. Rund zwanzig Autos sind in der Gegend seit dem Frühjahr 2007 abgefackelt worden. Ein einigermaßen wohlhabender Mittelstand macht sich breit in einer Gegend, in der auf Plakaten ein Diskussionsabend über einen „erfolgreichen Arbeitskampf“ angekündigt wird und die DKP zur Bundestagswahl mit „unseren Krisenberatern“ Marx, Engels und Lenin wirbt. Die Rigaer Straße sei einer der letzten Rückzugsräume für die Punks, sagt ein Mann in einem Sozialprojekt. Eine junge Anwohnerin nennt die Atmosphäre im Kiez „krass aggressiv“ – auch, weil beide besetzten Häuser vor der Räumung stehen. Vor kurzem wurden Polizisten von Autonomen umzingelt, nachdem sie einen jungen Mann gestellt hatten, der illegal Plakate klebte. Etwa 30 Autonome, so hieß es im Polizeibericht, hätten die Beamten umringt, sie in Gespräche verwickelt und ihnen Beweismittel entwendet. So habe der Festgehaltene fliehen können. Es kommt auch vor, dass die Besatzung eines Streifenwagens Pfefferspray einsetzen muss, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Objektiv, so sagt es Polizeisprecher Thomas Goldack, hätten die Anzeigen wegen Widerstands nicht zugenommen. Doch Polizisten im Streifendienst berichteten, dass sie „häufiger und viel früher“ bedroht und beschimpft würden. Zwar seien handfeste Übergriffe noch immer die Ausnahme. Doch gebe es inzwischen im Umgang mit der militanten Linken das gleiche Phänomen wie in einigen Kiezen mit vielen Einwanderern: Polizisten würden bedrängt und behindert, wenn sie jemanden stellen oder zur Ordnung rufen wollen.Die Gründe dafür sind so vage wie vielfältig. Alkohol wird als Antriebsmittel für aggressiven Umgang mit Polizisten genannt. Der Gewerkschaftschef der Polizei, Eberhard Schönberg, beklagt einen „besorgniserregenden Autoritätsverlust des Staates“. Sicher ist nur, dass Brutalität bei einigen militanten Linken Konjunktur hat.

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