
© dpa/Patrick Pleul
First Solar: „Geknickt und wie gelähmt“
Der Schock bei der Belegschaft von First Solar sitzt tief. Am Dienstag hat das Unternehmen angekündigt, seine Fabriken in Frankfurt (Oder) zu schließen. Rund 1200 Beschäftigte sitzen Ende Oktober auf der Straße. Die IG Metall spricht von einem Skandal
Stand:
Frankfurt (Oder) - Am Tag danach liegt lähmendes Entsetzen über den Werkshallen von First Solar an der Frankfurter Marie-Curie-Straße. Keine spontanen Proteste vor den Toren, keine eilig angefertigten Plakate. Wer Dienst hat, schleppt sich an diesem Mittwoch an den Arbeitsplatz. Die meisten können es immer noch nicht fassen: Einer der Leuchttürme der Solarbranche und Aushängeschild der einst gefeierten Solarstadt Frankfurt, der US-amerikanische Modulehersteller First Solar, schließt seine beiden Fabriken in der Stadt zum 31. Oktober. Wie eine Bombe schlug die Nachricht am Dienstag ein. Mittlerweile weicht bei Sven Hennig der anfängliche Schock einem anschwellendem Ärger – Ärger auf ein Unternehmen, das lange Zeit auch Dank seiner Mitarbeiter in schweren Zeiten gut verdient hat und nun die Belegschaft trotzdem vor vollendete Tatsachen stellt. „Es wurde immer versprochen es wird besser. Die Aufträge sind da. Wir wurden von der Geschäftsleitung an der Nase herumgeführt“, sagt der 36-Jährige.
Angefangen hat Hennig bei First Solar 2007. Damals war die Euphorie groß. Erst ein Jahr zuvor hatte der Konzern angekündigt, in Frankfurt investieren zu wollen. Zur gleichen Zeit hatte zudem das Hamburger Solarunternehmen Conergy die verwaiste Chip-Fabrik übernommen, die wie kaum eine anderes Projekt für das Platzen wirtschaftlicher Träume Frankfurts steht. Ebenfalls 2007 eröffnete auch die Forschungsausgründung Odersun ihre erste Fabrik in der Stadt. Kurzerhand kürte Brandenburgs damaliger Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) Frankfurt zur „neuen Solarstadt Ostdeutschlands“. Das war vor sechs Jahren. Heute steckt Conergy in erheblichen Schwierigkeiten und ist First Solar auf dem Sprung. Dabei hatten die US-Amerikaner erst im vergangenen Jahr ihre Kapazitäten am Standort für 170 Millionen Euro verdoppelt und wie bei der ersten Fabrik dafür staatliche Förderung in Höhe von 22 Millionen Euro kassiert.
„Alles ist wie gelähmt. Die Kollegen sind total geknickt. Da hätte man doch das zweite Werk gar nicht erst aufmachen müssen“, meint Hennig ohne seine Verbitterung verbergen zu können. Insgesamt 1200 Mitarbeiter in Frankfurt sind von den Werksschließungen betroffen. Erst Anfang März hatte First Solar Kurzarbeit angemeldet, galt aber trotzdem als solide. Man sei bemüht, die Auswirkungen für die Mitarbeiter so weit wie nur möglich abzufedern und die Veränderungen möglichst sozialverträglich zu gestalten, hatte First Solar am Dienstag erklärt. Noch am Dienstagabend hatte sich Sven Hennig mit Vertretern der IG Metall in Frankfurt getroffen. Hennig ist Betriebsrat bei First Solar. Immerhin, schließlich ist Arbeitermitbestimmung in der Solarbranche laut Gewerkschaft keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Für den Donnerstag, sagt Hennig, sei eine erste Betriebsratsversammlung geplant. Viel Hoffung hat der junge Industriemechaniker aber nicht. „Ich sehe definitiv schwarz.“
Währenddessen versuchen Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke) zu retten, was noch zu retten ist. In Potsdam treffen sie First-Solar Konzernchef Mike Ahearn. Auch Frankfurts Bürgermeister Martin Wilke ist gekommen. „Für uns ist das Wichtigste, was mit unseren Mitarbeitern wird“, betont Manager Ahearn. Sollte sich kein Investor finden, werde sich First Solar an einer „Transfergesellschaft“ beteiligen, bietet er an.
Peter Ernsdorf von der IG Metall Ostbrandenburg erhebt schwere Vorwürfe gegen die Modulebauer aus den USA. „Das ist ein sozial- und strukturpolitischer Skandal“, wettert Ernsdorf. Wie ein Fördernomade verhalte sich First Solar. „Der Arbeitgeber hat alle Annehmlichkeiten wie staatliche Förderung und flexible Arbeitszeitmodelle in Anspruch genommen und zieht sich jetzt einfach aus der Verantwortung. Das ist unmöglich.“
Aber auch die Landesregierung ist nach Ernsdorfs Meinung Schuld am Zusammenbruch der Solarbranche im Land Brandenburg. „Das Land ist zwar bereits zweimal für den Ausbau der erneuerbaren Energien mit den Leistern ausgezeichnet worden, doch es fehlt bislang ein industriepolitisches Konzept. Brandenburg darf nicht nur verlängerte Werkbank sein, sondern muss mehr als bisher auch auf Forschung und Entwicklung setzten“, meint der Gewerkschafter. Deutschland müsse besser und nicht billiger werden, um mit der Konkurrenz vor allem aus China mithalten zu können. Stattdessen habe die Landesregierung über Jahre nur mit Vergünstigungen und niedrigen Löhnen um Ansiedlungen gebuhlt. „Die Investoren haben sich das Geld in die Tasche gesteckt und nichts davon ist in der Region geblieben.“
Schwere Zeiten stehen vor allem den First Solar-Mitarbeitern bevor, die aus Frankfurt und Umgebung kommen. Nach Schätzung von Hennig sind das wenigstens 900 der 1200 Beschäftigten. „Die kann die Region hier niemals alle aufnehmen“, meint der Betriebsrat. Die Gründung einer Transfergesellschaft hält er deshalb für nicht sinnvoll. „Man fragt sich doch, warum soll ich dem Unternehmen noch bis Oktober meine Arbeitskraft zur Verfügung stellen?“ Wer kann, werde vermutlich so schnell wie möglich etwas anderes suchen.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: