Brandenburg: Geld oder Besuche
Nach Urteil gegen Eltern des verhungerten Babys: Frankfurt will Hilfe für junge Familien verbessern
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Frankfurt (Oder) - Ähnlich wie nach dem Fall der Mauer DDR-Bürger, sollen jetzt in Frankfurt (Oder) Neugeborene begrüßt werden. Jedenfalls wenn es nach den Vorstellungen von Oberbürgermeister Martin Patzelt (CDU) geht. Nachdem dort die 20 und 21 Jahre alten Eltern des kleinen Florian, der im Februar dieses Jahres verhungerte, zu langen Haftstrafen verurteilt wurden, streiten Verwaltung und Stadtverordnete, wie man derartige Tragödien künftig vermeiden kann.150 Euro, so will es Patzelt, soll jeder Neuankömmling beziehungsweise dessen Eltern, erhalten. Die Gabe der Stadt ist allerdings an Bedingungen geknüpft. Erst nach einer gewissen Anzahl von Besuchen beim Kinderarzt, frühestens wenn der Nachwuchs sechs Monate alt ist, erfolgt die Zahlung. Für Patzelt geht die Rechnung auf. Rund 450 Kinder kommen in Frankfurt (Oder) jedes Jahr zur Welt. Die Stadt würde das insgesamt 67500 Euro kosten.
Die Linke, stärkste Kraft im Stadtparlament, hält gegen den Antrag vom OB. „Mit einem materiellen Anreiz kann man doch Eltern nicht dazu bewegen, sich beim Amt zu melden“, findet Sandra Seifert, Geschäftsführerin der Fraktion und zugleich Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses. Sie will einen Begrüßungsservice einführen, wie er schon in der Landeshauptstadt Potsdam betrieben wird. Dort hatten die Mitarbeiter der Behörde vor kurzem ihre 1000. Visite. Seit November 2007 besucht das Jugendamt in der Landeshauptstadt frisch gebackene Eltern. 97 Prozent der Mütter und Väter, so heißt es aus dem Potsdamer Rathaus, nehmen den Service inklusive Ratschlägen, Impfkalender, Kontaktadressen und anonymen Fragebogen sehr gerne entgegen. Eine ungezwungene Kommunikation soll dabei entstehen, so die Absicht der Behörde, „mit Blick auf das Wohl des Kindes“.
So soll es nach Meinung der Linken auch in Frankfurt laufen. Mit wie viel Personal, ist noch nicht klar – wahrscheinlich seien drei Stellen notwendig, sagt Seifert. „Dann hätte jeder Mitarbeiter 150 Familien pro Jahr.“ Eine sehr personalintensive Variante, wie sie einräumt. Bei 80 Prozent dieser Fälle, so die Ansicht von Sandra Seifert, werde es jedoch mit einem einmaligen Besuch abgetan sein. Patzelt, der glaubt, dass die Stadt dies finanziell nicht stemmen kann, möchte nach eigenen Angaben, dass sich vor allem so schnell wie möglich etwas tut. „Ich ärgere mich, dass es so lange dauert“, sagt der Oberbürgermeister, der nach den bundesweiten Schlagzeilen um den verhungerten Säugling weiteres Negativimage vermeiden möchte. Nach der Sommerpause Anfang September könne erst wieder in den Ausschüssen und Fraktionen darüber beraten werden.
Indes könnte sich Patzelts Begrüßungsgeld-Vorschlag von selbst schnell erledigt haben. Hartz-IV-Empfänger zum Beispiel müssen jedwede Art von Zuwendung, die dem Lebensunterhalt dient, angeben, erklärt Olaf Möller, Pressesprecher der Arbeitsagentur für Berlin-Brandenburg. Gefährdete Kinder leben meist in Elternhäusern, die auf die Unterstützung von Sozialleistungen angewiesen sind – das würde bedeuten, dass in diesen Fällen das Begrüßungsgeld für ein Neugeborenes umgehend vom Arbeitslosengeld abgezogen würde. Auch das Innenministerium hat bei Patzelts Idee noch ein Wörtchen mitzureden. Denn die Behörde verwaltet den Fond, der gemäß Finanzausgleichsgesetz (FAG), hoch verschuldete Kommunen unterstützt – und dazu zählt laut Innenministerium auch Frankfurt (Oder). Dieses Geld dürfe die Stadt aber nur für Aufgaben ausgeben, die unbedingt erfüllt werden müssen, wie ein Ministeriumssprecher erklärte.
Weder in Frankfurt (Oder) noch im Innenministerium ist eine märkische Kommune bekannt, in der Begrüßungsgeld gezahlt wird. Das mecklenburgische Neustrelitz, schuldenfrei, leistet sich schon seit drei Jahren einen 250-Euro-Zuschuss für Säuglinge. Reibungslos ging das nicht von Anfang an, wie sich Rathaus-Sprecherin Petra Ludewig erinnert. „Die Arbeitsagentur wollte am Anfang Hartz-IV-Empfängern deswegen die Leistungen kürzen.“ Dann habe es eine Musterklage gegeben. „Der Fall ging bis ganz nach oben“, sagt Ludewig. Landes-Wirtschaftsminister Jürgen Seidel (CDU) besuchte den damaligen Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD). Beide einigten sich darauf, dass Begrüßungsgeld als einmalige Zahlung nicht angerechnet werden dürfe. 160 Babys werden in Neustrelitz jedes Jahr geboren.
Andreas Wilhelm
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