
© M. Wolff
Sozialhilfegutscheine: Genosse Hardliner
Flüchtlinge im brandenburgischen Landkreis Oberhavel sollen ihre Sozialhilfe trotz Protesten und Kreistagsbeschluss weiter überwiegend als Gutscheine bekommen. Oberhavels SPD-Landrat Karl-Heinz Schröter hält an dieser Praxis fest.
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Oranienburg/Potsdam - Es wurde appelliert, demonstriert und von oberster Stelle in Potsdam empfohlen – geholfen hat es nichts: Oberhavels Landrat Karl-Heinz Schröter (SPD) bleibt stur. Während alle anderen brandenburgischen Kreise und kreisfreien Städte Hilfen für Asylberwerber mittlerweile überwiegend als Bargeld auszahlen, erhalten Flüchtlinge im Kreis Oberhavel außer einem Taschengeld den größten Teil ihrer Zuwendungen weiterhin in Form von Gutscheinen. Geregelt werden die Leistungen im Asylberwerberleistungsgesetz von 1993. Das sieht zwar „vorrangig“ Sachleistungen vor, räumt aber auch die Möglichkeit ein, „soweit es nach den Umständen erforderlich ist“, den Wert als Geldbetrag auszuzahlen. Mehrfach hatte der Flüchtlingsrat Brandenburg Schröter aufgefordert, es seinen Amtskollegen gleichzutun und von seinem Ermessensspielraum Gebrauch zu machen. Selbst eine Empfehlung aus dem Landessozialministerium verhallte ohne Erfolg.
„Alles stößt auf taube Ohren“, ärgert sich Simone Tetzlaff, Sprecherin des Flüchtlingsrats. „Durch dieses Handeln wird den Flüchtlingen signalisiert, dass sie nicht willkommen sind, sondern ausgegrenzt werden sollen“, wirft sie Schröter vor. Erst vergangene Woche hatten mehrere Flüchtlinge erneut vor dem Asylbewerberheim des Kreises in Hennigsdorf dagegen demonstriert. Auch eine Liste mit mehr als 800 Unterschriften wurde dem Kreistag übergeben. Betroffen von der Regelung sind nach Angaben des Flüchtlingsrates rund 200 Personen.
Auch bundesweit wird das Gutscheinsystem seit Jahren kritisiert. Gerade erst hat die Dachorganisation der deutschen Flüchtlingsinitiativen „Pro Asyl“ eine neue Kampagne gestartet. „Der Einkauf mit Wertgutscheinen stigmatisiert die Betroffenen, stempelt sie als Menschen zweiter Klasse ab“, glaubt Tetzlaff. Nicht selten würden die Gutscheine auch Vorwand für rassistische Sticheleien liefern, weil sie an Schecks erinnerten. „Jetzt bekommen die schon Schecks“, seien Tuscheleien, die sich Flüchtlinge oft an den Ladenkassen anhören müssten, meint die Sprecherin der Landesinitiative. Zudem seien viele Gutscheine nur bei Lebensmitteldiscounter einzulösen. Landestypische Lebensmittel seien dort jedoch in der Regel nicht zu bekommen. „Rechtsanwälte oder Telefonrechnungen lassen sich ebenfalls nicht per Gutschein bezahlen“, ergänzt Tetzlaff. Deshalb würden die Gutschein häufig auf einem „grauen Markt“ zu 80 Prozent ihres Wertes verkauft, berichtet die Sprecherin.
Selbst der Kreistag Oberhavel hatte sich jüngst mit dem Thema beschäftigt und von ihrem Landrat eine Umstellung auf Bargeld gefordert. In einem Schreiben hatte Schröter den Beschluss aber als nicht bindend abgeschmettert. „Eine Zuständigkeit des Kreistages liegt nicht vor“, ließ er mitteilen. Das Asylberwerberleistungsgesetz sei ein Bundesgesetz, dessen Umsetzung den Ländern übertragen worden sei, die diese Aufgabe wiederum an die Kommunen weitergegeben hätten. Eine Weisung erteilen könne lediglich „das aufsichtsführende Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg“.
„Wir können nicht anweisen. Diese Entscheidung ist ausschließlich vom Kreis zu treffen“, meint dagegen Ministeriumssprecher Florian Engels. Allerdings hatte sich Sozialminister Günter Baaske (SPD) jüngst explizit dafür ausgesprochen, lieber Bar- statt Sachleistungen zu gewähren. Er verwies dabei auf die im Gesetz enthaltene Formulierung. „Ich freue mich, wenn die dafür zuständigen Kreise und kreisfreien Städte davon kräftig Gebrauch machen, denn die Gutscheine erzeugen hohen Verwaltungsaufwand und sind für die Betroffenen völlig ungeeignet und auch diskriminierend“, teilte der Minister am 20. Juni mit. Zuvor hatte das Ministerium seine Position dem Kreis Oberhavel bereits in einem Schreiben dargelegt.
In Oranienburg hält man davon nichts: „Der Landkreis Oberhavel hält es grundsätzlich für den falschen Weg, ein Gesetz, das scheinbar den aktuellen Anforderungen nicht mehr gerecht wird, so lange zu beugen, bis die gewünschte Wirkung erzielt wird“, heißt es in einer Erklärung. Solange der Bundestag keine Änderungen beschließe, „hat sich der Landkreis an die bestehenden Vorgaben nach dem Willen des Bundesgesetzgebers zu halten.“
Wenigstens ein Stück weit ist Landrat Schröter den Gutschein-Gegnern entgegen gekommen. Anfang Juli teilte die Kreisverwaltung mit, das Taschengeld werde ab sofort um rund 35 Euro auf insgesamt 75 Euro erhöht. Tetzlaff ist das nicht genug. „Die Verwaltungsspitze hält an einem Denken fest, das vor 20 Jahren verbreitet war und von Abschreckung geprägt ist“, kritisiert sie.
Allerdings könnten die Flüchtlinge in Oberhavel demnächst auch Unterstützung aus der Bundespolitik bekommen. Medienberichten zufolge habe der SPD–Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel auf einer Veranstaltung vergangene Woche in Velten Unverständnis für die Haltung Schröters geäußert und angekündigt, seinen Parteigenossen anzurufen. „Das hat er bislang nicht getan“, teilte der Kreis am gestrigen Dienstag mit.
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