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Brandenburg: Geschichte wird gedacht

Heftig wurden die neuen Schullehrpläne kritisiert. Nun vertagen Berlin und Brandenburg die Reform

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Potsdam/Berlin - Der Protest von Lehrern, Eltern, Schülern und Verbänden hat gewirkt. Die Einführung der neuen Rahmenpläne an den Schulen in Berlin und Brandenburg wird um ein Jahr verschoben. Zudem wird die Gefahr gebannt, dass Siebt- und Achtklässler in Geschichte statt einer Chronologie nur noch thematische Häppchen vorgesetzt bekommen. Grundsätzlich wollen Brandenburgs Bildungsminister Günter Baaske und Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (beide SPD) aber an dem gemeinsamen Lehrplan für unterschiedliche Schultypen festhalten. Der gemeinsame Plan sei auch ein Bekenntnis zur „Bildungsregion Berlin-Brandenburg“.

Beide Länder hatten die neuen Rahmenlehrpläne von ihrem gemeinsamen Landesinstitut für Schule und Medien (Lisum) erarbeiten lassen. Baaske empfahl für einige Bereiche Übergangsregelungen, die den Schulen die Umstellung auf die Neuerungen erleichtern sollen. „Wir wollen den Schulen mehr Zeit zur Vorbereitung geben“, begründete Baaske die Verschiebung von 2016/17 auf 2017/18. Auch er war mit viel Kritik von Lehrerseite konfrontiert gewesen.

Aber die Einwände kamen nicht nur von Pädagogen und Christdemokraten, vielmehr waren unter den knapp 5000 Kritikern auch viele Eltern und Verbände. Diese Rückmeldungen, die anonymisiert veröffentlicht werden sollen, wurden in einem ersten Schritt intern ausgewertet. Das Ergebnis ist, dass zu den sieben umstrittensten Komplexen jetzt Arbeitsgruppen eingerichtet werden.

Neben dem Methodenstreit in Geschichte wird es auch um das neue Fach Gesellschaftswissenschaften in Klasse 5 und 6 gehen. Denn die Geschichtslehrer befürchten, dass ihr Fach zu kurz kommt, wenn es mit Geografie und Politischer Bildung verschmolzen wird. In Brandenburg gibt es einen analogen Streit um das Fach Naturwissenschaften, das es in Berlin schon gibt.

Eine weitere Arbeitsgruppe soll sich mit der Sexualerziehung beschäftigen, nachdem insbesondere der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg im Rahmenplan die Themen „sexueller Vielfalt und geschlechtlicher Identität“ vermisst hatte. Auch beim Lehrplan für Geografie gibt es noch Diskussionsbedarf. Eine weitere Arbeitsgruppe wird sich mit den Belangen der lernbehinderten Schüler befassen: Durch die politische Vorgabe, einen gemeinsamen Rahmenplan für alle Schüler von Klasse 1 bis 10 zu machen, hatte das Lisum versucht, die Lernziele für die Lernbehinderten in den allgemeinen Rahmenplan zu integrieren – mit der Folge, dass die Lehrer sich für ihre Schüler alles Relevante „zusammensuchen müssen“, wie sich Scheeres ausdrückte. Jetzt soll es eine eigene Handreichung für die vielen Lehrer geben, die mit dieser großen Schülergruppe zu tun haben, die meist an Sekundarschulen integrativ unterrichtet werden.

Die siebte und letzte Arbeitsgruppe hat das schwierige Feld der Leistungsbewertung vor sich: Das Lisum hatte dazu in seinem Entwurf keine Aussagen gemacht und stattdessen mit einem verwirrenden „Niveaustufenmodell“ die Lehrerschaft verschreckt: Es suggerierte, dass in allen Klassenstufen auf mehreren Niveaus unterrichtet werden muss. Insbesondere die Gymnasiallehrer fragten sich, wie das zu schaffen ist, wenn sie ihre Schüler doch eigentlich auf das Abitur vorbereiten sollen. Am Donnerstag stellte sich heraus, dass alles nur ein Missverständnis war: „Das Gymnasium muss nur auf einem Niveau unterrichten“, stellte Scheeres klar und schob an die Adresse des Lisum hinterher, „dass man das hätte besser machen können“.

Das gescholtene Institut übte auch Selbstkritik – insbesondere in Bezug auf das Fach Geschichte. „Das war vielleicht nicht so gut“, sagte Direktor Götz Bieber. Das Lisum hat nun die Aufgabe, anhand der Stellungnahmen eine fertige Fassung des neuen Rahmenlehrplans im Herbst vorzulegen. Anschließend soll er von den beiden Bildungsverwaltungen „geprüft und freigegeben werden“, kündigten Baaske und Scheeres an.

Die Reaktionen auf die Verschiebung waren gespalten. Der Bildungsexperte der CDU-Landtagsfraktion Gordon Hoffmann begrüßte, dass die Einführung des neuen Rahmenlehrplans verschoben wird. Dies gebe Eltern, Lehrern und Experten Zeit, die kritischen Punkte zu diskutieren und zu beseitigen. Die CDU bleibe bei ihren Forderungen. Die Grundschule müsse Grundkenntnisse vermitteln, daher müsse Fachunterricht in der Grundschule, insbesondere das Fach Geschichte, erhalten bleiben.

„Die Pädagogik der Kompetenzorientierung darf nicht auf Kosten der Fachinhalte gehen. Statt fächerübergreifender Wahlpflichtthemen muss es einen verbindlichen Bildungskanon geben – nur so kann wirkliche Entschlackung gelingen“, sagte Hoffmann. Grüne-Bildungsexpertin Marie Luise von Halem sagte, die Verschiebung sei nötig gewesen, dies habe die Konsultationsphase mit fast 5 000 Rückmeldungen deutlich gezeigt. Nötig sein nun eine Fortbildungs- und Informationsoffensive, damit sich Lehrer besser auf die neuen Unterrichtsfächer, die fächerübergreifende Medienbildung und die neuen Bewertungsmaßstäbe vorbereiten könnten.Susanne Vieth-Entus (mit axf)

Susanne Vieth-Entus (mit axf)

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