Brandenburg: „Gespür für die Befindlichkeiten“
Selbst bei der Reformation vor 500 Jahren gab es schon einen Brandenburger Weg
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Potsdam - Brandenburg bereitet sich mit einem eigenen Schwerpunkt auf das 500. Reformationsjubiläum 2017 vor. Über den besonderen Landesblick sprach der Kirchenhistoriker Bernd Krebs, Beauftragter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), für das Reformationsjubiläum und den Kirchentag 2017.
Herr Krebs, was ist die besondere Perspektive Brandenburgs auf die Reformation?
Brandenburg nahm einen ganz eigenen Weg. Kurfürst Joachim II. strebte ab 1537 die Reformation an und nahm lutherische Elemente auf. Dabei band er Städte und Stände ein. Aber auf der reichspolitischen Ebene gab er an, das Votum des Konzils abzuwarten. Die Veränderungen vollzogen sich also im Rahmen dessen, was er selbst und die Menschen im Land verantworten und mittragen konnten. Politisch gesehen verfolgte er damit einen Mittelweg.
Wie sah denn der Übergang aus?
Im Gottesdienst zeigte sich das nicht sofort. Joachims Weg war, vieles von den alten Traditionen zu erhalten, aber er brachte zugleich Luthers Lehre von der Rechtfertigung allein aus dem Glauben zur Geltung. Denn es ging ihm darum, die Menschen mitzunehmen. Das ist der besondere brandenburgische Weg, der sich eigentlich bis 1989 und 1990 fortsetzte. Faktisch hat Manfred Stolpe als Ministerpräsident des damals wieder entstandenen Brandenburgs nach dieser Leitlinie gehandelt: Die Menschen müssen, so gut es geht, zu ihrer Vergangenheit stehen, können aber auch Neues hinzugewinnen.
Die Reformation in Brandenburg war also nicht so radikal wie andernorts?
Sie ist mit größerem Gespür für die Befindlichkeiten der Menschen, für ihre Bedürfnisse und Verunsicherungen vollzogen worden. In anderen Teilen Deutschlands war die Reformation zu Beginn der 1540er-Jahre zwar viel weiter. Dafür geriet sie aber bald in Bedrängnis wie in der Pfalz oder in Sachsen. Joachim II. hat sich bewusst nicht dem Schmalkaldischen Bündnis der reformatorischen Fürsten angeschlossen. Brandenburg blieb dennoch lutherisch. Als sich sein Urenkel, Johann Sigismund, 1613 den Lehren Johannes Calvins zuwandte, kam es zu Spannungen, die erst 1817 mit einem Kompromiss, der Bildung einer Union aus Lutheranern und Reformierten, beendet wurden.
Wie steht es denn mit Luther selbst. Brauchen wir auch hier ein neues Verständnis?
Die Bilder, die über die Jahrhunderte von Luther gezeichnet wurden, sagen mehr über die Zeit aus, in der sie entstanden, als über Luther selbst. Deshalb wird man immer fragen müssen: Was suchen die Menschen bei Luther? Was soll er ihnen „sagen“? Vor 100 Jahren, im Ersten Weltkrieg, suchten sie in Luther den, der mit ihnen für Deutschland und gegen Engländer und Franzosen stehen sollte. 1817 wurde er auf der Wartburg als Wegbereiter der deutschen Einigung gefeiert. Heute, wo wir auf 100 Jahre Ökumene zurückblicken und der christliche Glaube sich in vielfältiger Weise entfaltet, steht für uns im Mittelpunkt, was uns mit anderen Konfessionen verbindet. Früher haben sich Protestanten über Abgrenzung definiert, schroff und wenig geschwisterlich. Heute suchen wir das Gemeinsame, im Sinne Luthers, der ja keine «neue» Kirche gründen wollte, sondern dafür stritt, dass sich die Kirche wieder auf Jesus besinnt.
Das klingt weniger radikal als manches Lutherbild, das heute umherschwirrt.
Luther war ja nicht der einzige Reformator, sondern er war Teil einer umfassenden Reformationsbewegung in der lateinischen Kirche. In Spanien und Frankreich gab es damals ebenfalls Bestrebungen, die Kirchen zu reformieren und Kirchstrukturen aufzubrechen. Es gab Zwingli und Calvin. Wir müssen also eine Relativierung und Einordnung Luthers zulassen. Es gab nicht nur Luther. Auf der Konfessionslandkarte nimmt die lutherisch reformierte Kirche nur einen kleinen Teil ein. Das dürfen wir nicht vergessen.
Welche Chancen eröffnet ein neues Lutherbild unserer Gesellschaft?
Sie bietet uns die Chance zu begreifen, dass die Globalisierung nicht nur eine uns heute bedrängende Erfahrung ist, sondern dass die Reformation selbst ein globales Geschehen ausgelöst hat. Nationalismus war nur ein kurzer, kleiner Abschnitt. Stattdessen zeigt die Auseinandersetzung mit der Reformationsgeschichte, wie wirkungsmächtig das Religiöse ist, auch für jene, die nicht religiös sind.
Das Gespräche führte Christina Denz
Bernd Krebs, 65, ist seit 2013 Beauftragter für das Reformationsjubiläum und den Kirchentag 2017 in der Landeskirche. Zuvor war er unter anderem als Pfarrer in Berliner Gemeinden tätig.
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