Brandenburg: Gymnasium muss Schüler beten lassen 16-jähriger Muslim hat Recht auf Gebet an Schule
Berlin - Das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts, das einem 16-jährigen muslimischen Schüler das Beten in einem eigens dafür bereitgestellten Raum im Diesterweg-Gymnasium erlaubt, stößt bei der Schulleitung auf Unverständnis. „Ich habe auf ein anderes Urteil gehofft – auf eines, das die Lebenswirklichkeit in der Schule sehr viel stärker berücksichtigt“, sagte Schulleiterin Brigitte Burchardt am Dienstag.
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Berlin - Das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts, das einem 16-jährigen muslimischen Schüler das Beten in einem eigens dafür bereitgestellten Raum im Diesterweg-Gymnasium erlaubt, stößt bei der Schulleitung auf Unverständnis. „Ich habe auf ein anderes Urteil gehofft – auf eines, das die Lebenswirklichkeit in der Schule sehr viel stärker berücksichtigt“, sagte Schulleiterin Brigitte Burchardt am Dienstag. An ihrem Gymnasium haben 80 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund, sie kommen aus 30 Nationen und alle Regionen sind vertreten. „Wenn alle auf ihr Recht pochen, kann ich die Schule schließen.“
Der 16-jährige Yunus Mitschele hatte vor eineinhalb Jahren zusammen mit anderen Schülern auf dem Schulflur kniend gebetet, was ihm von der Direktorin untersagt worden war. Seiner daraufhin eingereichten Klage gegen das Land Berlin, an der Schule beten zu dürfen, war im März 2008 in einem Eilverfahren stattgegeben worden. Das Grundrecht auf Religionsfreiheit erstrecke sich nicht nur auf die innere, sondern auch auf die äußere Freiheit – auch auf das Beten, urteilte die dritte Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts am Dienstag. Von einem strenggläubigen Schüler könne „nicht erwartet werden, grundsätzlich außerhalb der Schulzeit zu beten“, wenn keine konkreten und unzumutbaren Beeinträchtigungen des Schulbetriebs einträten, begründeten die Richter ihre Entscheidung.
In der Verhandlung begründete der 16-jährige Schüler seine religiöse Überzeugung. Seine Familie – die Mutter stammt aus der Türkei, der Vater ist Deutscher und konvertierte zum Islam – bete zusammen und halte sich streng an die Glaubensregeln. Fünfmal täglich zu beten sei ihm wichtig. „Ich stehe auch in den Ferien früh auf, bete, und schlafe dann weiter“, sagt er. Sofern er aufgrund der sich ständig verschiebenden Gebetszeiten sein Gebet nicht nach Schulschluss nachholen könne, nutze er den Gebetsraum der Schule.
Mitscheles Position, bestätigte der als Gutachter geladene Islamwissenschaftler und Jurist Mathias Rohe, sei nach theologischen Gesichtspunkten plausibel. Zwar könnten Muslime Gebete auch auslassen oder zusammenfassen – allerdings brauche es dazu „überzeugende Notwendigkeiten“, die der Kläger wohl nicht gegeben sehe. Als Muslim müssen man möglichst alle Gebete verrichten. Da spiele die staatliche Neutralität keine Rolle. Das sah das Gericht ebenso: Die Neutralitätspflicht des Staates gebiete ihm keineswegs, prinzipiell gegen religiöse Betätigungen Einzelner vorzugehen.
Die Anwältin der Senatsbildungsverwaltung, Margarete Mühl-Jäckel, hielt entgegen, dass es an Schulen keine „Glaubensinseln“ einzelner Religionen geben dürfe. Die Kammer sah das anders: „In der Abwägung des konkreten Einzelfalls hat das Diesterweg-Gymnasium Möglichkeiten, einen Raum zur Verfügung zu stellen“, sagte Gerichtssprecher Groscurth.
„Inwieweit der Fall Präzedenzwirkung haben wird, müssen wir sehen“, sagte Jens Stiller, Sprecher der Bildungsverwaltung. Man werde prüfen, ob man in Berufung gehe. Der schulpolitische Sprecher der Grünen, Öczan Mutlu, zeigte sich „irritiert“ über das Urteil: „Ich kenne kein Land außer dem Iran, in dem Gebetsräume an der Schule möglich sind. Das sollte kein Vorbild für Deutschland sein.“ FDP-Bildungsexpertin Mieke Senftleben sprach dagegen von einem „klugen Urteil“.Patricia Hecht
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