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Nicht nur Gitter. Neben schweren Straftätern sind in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg/Havel auch Häftlinge im sogenannten offenen Vollzug untergebracht. Weil sie in der Regel keine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen, genießen sie weitgehende Freiheiten.

© dpa

AUSBRUCH: Häftling aus offenem Vollzug geflohen

UPDATE. Der 41-Jährige war am Sonntagnachmittag über einen Zaun gestiegen und weggelaufen. Das Justizministerium erklärt: Es besteht keine Gefahr für die Bevölkerung. Die CDU hingegen übt schwere Kritik an Minister Schöneburg.

Von Matthias Matern

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Brandenburg/Havel - Familienangehörige, Freunde, die letzte Wohnanschrift – bis Montagabend waren alle Nachforschungen erfolglos. „Einfach über den Zaun und weg. Eine heiße Spur haben wir noch nicht“, hieß es aus dem Lagezentrum der brandenburgischen Polizei in Potsdam. Gesucht wird derzeit nach einem 41-jährigen Häftling, der bereits am Sonntag aus dem sogenannten offenen Vollzug in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Brandenburg/Havel geflohen war. Eine Gefahr für die Bevölkerung bestehe allerdings nicht, versicherte das Landesjustizministerium am Montag. Der Mann sei seit Mitte Mai im offenen Vollzug der JVA untergebracht gewesen und völlig ungefährlich.

Eigentlich hätte der 41-Jährige wegen Betrugs und Verstoßes gegen das Haftpflichtversicherungsgesetz eine Ersatzhaftstrafe absitzen sollen. Nach Angaben der Gefängnisleitung soll er in einem nicht zugelassenen und nicht versicherten Auto gefahren sein, das dazu noch mit einem falschen Kennzeichen versehen war. Insgesamt sei der Betreffende zum dritten Mal zu einer Ersatzhaftstrafe verurteilt worden, weil er die vorgesehene Geldstrafe nicht habe zahlen können.

Laut Justizministerium hätte der Mann voraussichtlich im September freigelassen werden sollen. Weil es sich bei dem Mann nicht um einen Gewalt- oder Sexualstraftäter handle und eigentlich keine Fluchtgefahr bestand, sei er in den offenen Vollzug gekommen. Dort genießen Häftlinge weitreichende Freiheiten. Sie dürfen nach offizieller Abmeldung tagsüber, etwa für die Arbeit, die JVA verlassen, müssen aber die Nacht im Gefängnis verbringen. Zudem sind die Fenster nicht vergittert. In Brandenburg/Havel umgibt lediglich ein rund zwei Meter hoher Zaun das entsprechende dreistöckige Gebäude. Über diesen sei der 41-Jährige am Sonntag gegen 15.30 Uhr einfach rübergeklettert und verschwunden, berichtete Ministeriumssprecher Frank Schauka.

Insgesamt sind im Land Brandenburg derzeit 245 Personen im offenen Vollzug untergebracht. Mit dem geflüchteten Betrüger und Verkehrssünder sind in diesem Jahr bereits drei Personen aus dem offenen Vollzug entwischt. 2011 seien es sechs gewesen. Im Jahr davor habe es keine sogenannte Entweichung gegeben. Nach Meinung von Danny Eichelbaum, rechtspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag, sind die jüngsten Fälle Beweis für die Unfähigkeit von Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke). „Die ideologische Strafvollzugspolitik und katastrophale Personalpolitik der rot-roten Landesregierung führt zu immer mehr Gefängnisausbrüchen“, warf Eichelbaum am Montag Schöneburg vor. Der Linke-Justizminister habe die Lage offensichtlich nicht mehr im Griff. „Seine Politik, den offenen Vollzug in Brandenburg auszubauen, ist kläglich gescheitert und geht zulasten der Sicherheit der Bürger.“ Das Land brauche ausbruchsichere Gefängnisse, so Eichelbaum.

„Brandenburgs Gefängnisse sind sicher“, konterte Ministeriumssprecher Schauka. Schließlich könne man nur eine Flucht aus einem geschlossenen Vollzug als Ausbruch bezeichnen und dies sei in Brandenburg zuletzt 1999 vorgekommen. Dass Schöneburg den offenen Vollzug als Vorbereitung auf die Freilassung ausbauen wolle, sei nicht ideologisch motiviert, sondern beruhe auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. „Die Rückfallquote ist geringer, wenn die Personen zuvor im offenen Vollzug waren“, sagte Schauka.

Selbst Kritiker der rot-roten Personalpolitik, wie der Landesvorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Brandenburg, Willi Köbke, wollen in den vorliegenden Fällen kein Versäumnis des Ministers erkennen. „Es ist richtig, die personelle Situation im Strafvollzug ist problematisch, aber das ist nicht der Grund, dass Gefangene die Lockerungen durch den offenen Vollzug missbrauchen“, bestätigte Köbke am Montag. Man müsse eben damit leben, dass solche Häftlinge mal nicht wiederkommen. „Es sind ja keine Gewalttäter.“ Von den bislang 5215 Stellen in der Justiz sollen nach Plänen von Landesfinanzminister Helmuth Markov (Linke) 2018 nur noch 4300 Stellen übrig bleiben.

Besonders nachhaltig wird die Flucht im aktuellen Fall ohnehin nicht sein, glaubt zumindest Hermann Wachter, Leiter der JVA Brandenburg/Havel. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er wieder bei uns ist“, sagte Wachter am Montag. Er habe schon Häftlinge im offenen Vollzug gehabt, die sich den Sommer über in einer Datsche versteckten, im Winter aber aufgegriffen wurden, weil es ihnen zu kalt geworden war, berichtete der Gefängnisleiter. Weil Gefängnisausbruch in Deutschland nicht strafbar ist, droht dem 41-Jährigen zwar kein zusätzlicher Richterspruch, aber auf seine gewohnten Freiheiten wird er wohl bis Haftende verzichten müssen. „Damit ist jetzt der Beweis erbracht, dass er nicht für den offenen Vollzug geeignet ist“, betonte Wachter.

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