Brandenburg: Haftschäden
Über die Eigendynamik des Gefängnisskandals
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Über die Eigendynamik des Gefängnisskandals Hat Justizministerin Barbara Richstein (CDU) ihr Ressort noch im Griff? Seit Tagen reißen die Schlagzeilen zum Gefängnis-Skandal nicht ab: Es geht um die berüchtigte Justizvollzugsanstalt Brandenburg/Havel, um Misshandlungen, unterlassene Hilfeleistung, einen mysteriösen Waffenfund. Richstein reagiert mit Suspendierungen, Disziplinarverfahren, Versetzungen und Überprüfungen: Bis zehn Jahre zurückliegende Strafanzeigen von Häftlingen gegen Vollzugsbeamte, Suizide und sonstige Todesfälle werden erneut untersucht. Mit ihrem rigorosen Aktionismus nährt die 38-jährige Ministerin freilich den Eindruck, dass die Probleme in JVA bisher unterschätzt wurden. Wieso bemerkt Richstein erst jetzt, dass der letzte Woche abgesetzte Anstaltsleiter überfordert war? Wie kam es zu der Fehleinschätzung der Ministerin im Januar vor dem Rechtsausschuss des Landtages, dass in der JVA „keine speziellen Probleme erkennbar sind“ - obwohl es Gefangenenbeschwerden gab, gegen ein Dutzend Bediensteter wegen anderer Vorwürfe ermittelt wurde? Die jetzige Generalüberprüfung hätte eher erfolgen können und wohl auch müssen. Dennoch ist bei den Angriffen, denen sich Richstein ausgesetzt sieht, viel Scheinheiligkeit im Spiel. Wenn PDS, Grüne, FDP und selbst der Koalitionspartner SPD ihr Verharmlosung, Vertuschung, Versagen vorwerfen, haben sie natürlich die Landtagswahl in vier Monaten im Blick. Die SPD hat nicht vergessen, dass die Union 1999 nach spektakulären Gefängnisausbrüchen unter dem damaligen Justizminister Hans-Otto Bräutigam mit der Forderung „Schluss mit dem Reisebüro Bräutigam“ in den Wahlkampf zog. So tut man alles, um den Gefängnis-Skandal am Köcheln zu halten. Problematischer als der wahlpolitische Gegenwind dürfte für Richstein die Kritik aus den eigenen Reihen sein. Der Gesamtstaatsanwaltsrat hat ihr vorgeworfen, die Zusammenarbeit zu gefährden. Die Ministerin hatte zuvor öffentlich die Staatsanwaltschaft gerügt, weil diese sie erst am 30. April über die im Februar erstattete Strafanzeige jenes Häftlings informierte, dem bei einem Herzinfarkt ärztliche Hilfe verweigert wurde. CDU-Innenminister Jörg Schönbohm hat den Konflikt angeheizt, als er wie bei der V-Mann-Affäre die Staatsanwaltschaft als Quelle von Indiskretion aus der JVA vermutete. Prompt verwahrte sich Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg gegen die Verdächtigungen. Jetzt fordert die CDU seinen Rücktritt. Ein Schlagabtausch, der dem Ansehen der Institutionen und Richstein selbst schadet. Teile der Justiz sind ohnehin nicht gut auf die Ministerin zu sprechen, weil sie in der Trennungsgeld-Affäre um Missbrauch von Steuergeldern ohne Ansehen der Person durchgriff. Hohe Justizbeamte drohen darüber zu stolpern. Verfassungsgerichtspräsident Peter Macke trat schon zurück. Die von ihr angeordnete Überprüfung eingestellter Verfahren gegen Vollzugsbeamte schafft neue Unruhe. Die Justizministerin muss aufpassen, dass ihr beim großen Aufräumen und im Wahlkampfgetöse die Justiz nicht entgleitet.
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