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Brandenburg: „Historischer Moment“

Außenminister begrüßten EU-Erweiterung auf Frankfurter Grenzbrücke / Tausende Deutsche und Polen feierten

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Außenminister begrüßten EU-Erweiterung auf Frankfurter Grenzbrücke / Tausende Deutsche und Polen feierten Von Jörg Schreiber Frankfurt (Oder). Ein Bild für die Geschichtsbücher: Mitten auf der von Scheinwerfern in „Europa-Blau“ getauchten Frankfurter Grenzbrücke reichen sich die Außenminister Deutschlands und Polens am Samstag Punkt 0.00 Uhr die Hände. Joschka Fischer und Wlodzimierz Cimoszewicz sprechen beide von einem „historischen Moment“. Polen und neun weitere Staaten Ost- und Südeuropas gehören nun zur Europäischen Union (EU). Ein deutsch-polnischer Chor aus Berlin preist den Augenblick mit der Ode „Freude schöner Götterfunken“. Über der Oder erleuchtet ein Feuerwerk den Nachthimmel von Frankfurt und der polnischen Nachbarstadt Slubice. Die längst zum Symbol gewordene 250 Meter lange Oderbrücke gehört am Freitag und Samstag allein den Fußgängern. An beiden Ufern sind zum Beitrittsfest unter dem Motto „Aus Nachbarn werden Partner“ Bühnen, Stände und Biergärten aufgebaut. Wie auf einem Boulevard schlendern viele Tausend Menschen hinüber und herüber. Selbst die Grenzkontrollanlage am deutschen Ufer – wo sonst Pkw abgefertigt werden – sind zur Wandelhalle umfunktioniert worden. Dort lädt der Bundesgrenzschutz (BGS) zu einer Art Tag der offenen Tür. Wandtafeln informieren über die Tätigkeit der Grenzschützer, ein Kammerorchester des BGS spielt, und Besucher können sich Anstecker des BGS prägen lassen mit der Aufschrift „1. Mai 2004 – Ich war dabei“. Die Pins sind heiß begehrt, sagt ein BGS-Vertreter. Binnen weniger Stunden seien weit über 1000 Stück davon weggegangen, zeitweise hätten sich Schlangen gebildet. Selbst Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), der mit der halben Ministerriege nach Frankfurt gekommen ist, habe sich einen Anstecker geholt. Anfangs ist am Slubicer Ufer deutlich mehr los: Schon am Nachmittag stehen die Menschen dicht gedrängt am Kreisel vor dem Collegium Polonicum und schauen dem Bühnenprogramm zu. In den angrenzenden Straßen, wo sonst Taxis auf deutsche Einkaufstouristen warten, und die Zigarettenhändler ihre Läden haben, sind Tische, Bänke und Bierstände aufgebaut, es herrscht beste Feiertagslaune. Immerhin beginnt für die Polen nicht nur eine neue Ära im vereinigten Europa, sondern auch ein Drei-Tage-Wochenende, denn am Montag ist Nationalfeiertag. Die Sorgen und Ängste – etwa vor steigenden Preisen – sind damit bei den meisten in etwas weitere Ferne gerückt. Auch unzählige Deutsche kommen herüber ans polnische Ufer. Doch nicht jeder ist ganz zufrieden: „Die reden ja nur polnisch“, klagt eine Frau aus Frankfurt, die dem viele Minuten langen Monolog des Moderators nicht folgen konnte. Die Sprachbarriere – das äußeren auch die Politiker immer wieder – wird wohl auch in den nächsten Jahren ein Hindernis für mehr Begegnungen zwischen den Menschen sein. Eine Familie aus dem nahen Rzepin (Reppen) spaziert unterdessen über die Brücke Richtung Frankfurt. „Guck mal, die Deutschen feiern ja auch“, sagt der Familienvater überrascht beim Blick auf die Stände und Biergärten an der Oderpromenade. Dort hat die Europa-Universität ihre Bühne aufgebaut, und es wird fleißig telefoniert: Über Handy melden sich Studenten, die einen Tag zuvor von Frankfurt aus per Anhalter in die neuen EU-Staaten gestartet waren und nun aus der Slowakei, Ungarn und Litauen den Zuhörern mitteilen, wie weit sie gekommen sind. Zum Abend hin wird es am deutschen Ufer richtig voll: Rund 7000 Menschen kommen nach Schätzungen der Polizei, um bei „Euro-Classics“ und „Euro-Pops“ abzufeiern und anschließend das Feuerwerk zu bestaunen. Ausländerfeindliche Übergriffe wie 1991, als die Visa-Pflicht fiel und Neonazis einen polnischen Bus mit Steinen bewarfen, bleiben diesmal aus. Nach Polizeiangaben gibt es keine nennenswerten Zwischenfälle. Auch beim Zoll geht alles ruhig und ohne jegliche Zeremonie ab. Mit dem Ende der Warenkontrollen beendeten die Zöllner ihren Dienst an der Grenze. Fortan wird nur noch der BGS kontrollieren. Erst wenn Polen dem Schengen-Abkommen beitritt, wird auch die Grenze als solche verschwinden. Das wird noch einige Jahre dauern. „Wir haben jedes Interesse daran, dass Polen schnellstmöglich zum Schengen-Raum gehört“, versichert Außenminister Fischer in Frankfurt (Oder).

Jörg Schreiber

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