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Brandenburg: Hundstag

„London, 9.3.

Stand:

„London, 9.3.1967, 4.09 p.m.: Hund von Paul McCartney beißt zwei Deutsche im Regent’s Park. Beatle flieht.“ Diese Meldung gibt F. C. Delius in „Die Minute mit Paul McCartney“ genau 65 Mal wieder. Dabei variieren nur Format (Rap, Haiku, Sonett) und Perspektive (Hund, Augenzeuge 1, Rasen): Ein literarisches Spiel der Genres. Wieso aber wählt Delius, dessen Romane zumeist von historischen Ereignissen ausgehen – etwa dem Freispruch des NS-Richters Rehse am Nikolaustag 1968 – genau diese Minute?

Dass Cartneys Hund ausreißt, hat für die BRD-Geschichte keine Bedeutung. Aber da ist ein Mythos: die Beatles. Im Format „Artikel für Beatlemania“ gelingt es Delius, ihren Aufstieg vom Regent’s Park her zu erzählen: Von dort zu den Studios in der Abbey-Road ist es ein Katzensprung. Ein Teil des „Sergeant Pepper“-Albums wurde genau am 9. 3. 1967 eingespielt. Auf dem Cover sollte Hitler als Pappfigur prangen, am Ende der Platte hört man Hundegebell – Zufall?

In einem anderen Format, „Klappentext für den Thriller Der Sgt. Pepper-Code“, gestaltet Delius das Ereignis zur Schlüsselszene der Nachkriegsgeschichte. Der Plot geht so: Unweit der Baker Street täuschen zwei deutsche Agenten vor, Fußball zu spielen. Dabei geben sie sich ein geheimes Zeichen. Den Pepper Code. Wenig später bricht die Studentenrevolution aus: in Prag, Berlin, L. A. „Die Welt brennt, und im Regent’s Park blüht der Rhododendron.“

Vielleicht hätte Delius diesen Thriller schreiben sollen. In der Gewissheit, dass auch die Geschichte nur ein Narrativ ist, und zwar ein triviales. Stattdessen variiert er das Ereignis 62 Mal mehr, führt es durch Passiv, Futur und Negation. So beweist er am Ende nur, dass der Zufall die besten Einfälle hat. Kaspar Renner

Friedrich Christian Delius: Die Minute mit Paul McCartney. Transit-Verlag, Berlin. 96 Seiten, 12,80 €.

Kaspar Renner

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