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DOKUMENTIERT: „Ich bin beschämt, betroffen und bestürzt“

Der Linke-Landtagsabgeordnete Torsten Krause, Vorsitzender des Ausschusses für Bildung und Jugend, hielt im Landtag am 20. November diese Rede zu den Vorgängen in den Haasenburg-Heimen.

Stand:

Der Linke-Landtagsabgeordnete Torsten Krause, Vorsitzender des Ausschusses für Bildung und Jugend, hielt im Landtag am 20. November diese Rede zu den Vorgängen in den Haasenburg-Heimen. Sie wurde auch aus der Opposition als außergewöhnlich bezeichnet. Nachfolgend dokumentieren wir eine leicht gekürzte Fassung.

„Spätestens seit dem 15. Juni 2013 ist jedem aufmerksamen Brandenburger die Haasenburg GmbH ein Begriff. An jenem Tag berichtet die Berliner Tageszeitung „taz“ unter der Überschrift „Die Firma am Waldrand“ über unzulässige Praktiken des pädagogischen Personals gegenüber Kindern und Jugendlichen. Seitdem gab es Dutzende Zeitungsartikel und andere Medienberichte, in denen Kinder über ihre verletzenden Erlebnisse berichtet haben. Rund 70 Verfahren werden bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Cottbus dazu bearbeitet. Übereinstimmend berichten die jungen Menschen von Erniedrigungen, von Isolation in karg eingerichteten Zimmern, von Verweigerung des Toilettengangs sowie üblicher Hygienemaßnahmen, von der Missachtung des Postgeheimnisses ebenso wie vom Mithören von Telefonaten; sie beschreiben Erfahrungen körperlicher Gewalt, kritisieren die Missachtung ihres Schamgefühls sowie ihrer Privatsphäre und schildern die Verabreichung von Medikamenten gegen ihren Willen. Viele Schicksale wurden öffentlich dokumentiert. Renzo Rafael Martinez berichtet von mehreren Suizidversuchen aufgrund seiner Erfahrungen; Swenja gab an, eine rektale Leibesvisitation sowie Isolierung erlebt zu haben; Jan sagt, er wurde drei Tage ununterbrochen auf einer Liege fixiert; Julia berichtet, sie habe monatelang ohne Kontakt zu anderen Kindern gelebt, ihr Zimmer war zumindest in den ersten drei Monaten nur mit einer Matratze versehen; Susanne beschreibt Erfahrung körperlicher Gewalt, monatelange Isolierung, die Verweigerung medizinischer Versorgung; Lena wurde zum steten Tragen von Sturzhelm, Knie- und Ellenbogenschonern zu ihrem eigenen Schutz genötigt, dennoch verstirbt sie am 31. Mai 2008 in der Einrichtung nach einem Sturz aus dem Fenster; wenige Wochen zuvor hatte sie Strafanzeige gegen einen Erzieher wegen sexuellen Missbrauchs erstattet. Die Vorwürfe reichen Jahre zurück, aber sie beziehen sich eben nicht nur auf die Vergangenheit. So berichtet Harkan, erst im Juli 2013 aus einer der Einrichtungen entlassen, von einer sechswöchigen Isolierung auf dem Zimmer, dem Verbot, aus dem Fenster zu schauen, der Verweigerung des Toilettengangs, von Provokation durch das Personal und von lediglich fünf Minuten am Tag an der frischen Luft. In der Retrospektive ist es gut, den Untersuchungsbericht zu haben. Dennoch empfinde ich es als sehr schwierig, dass den Kindern und Jugendlichen, die ihre Beschwerden bereits seit Monaten äußern, nicht ausreichend Glauben geschenkt wurde. Hätten Kinder aus vermeintlich normalen Familien nur einen solcher Vorwürfe gegen ihre Eltern erhoben, wären sie von der Polizei oder dem Jugendamt in Obhut genommen worden. Anschließend wäre man den Aussagen nachgegangen. Auf jeden Fall hätte an erster Stelle die Sicherung des vermeintlich gefährdeten Kindeswohls gestanden. Im Fall der Haasenburg-Kinder wurde dies unterlassen. Die Fachabteilung und die zuständige Ministerin entschieden sich, erst zu prüfen und dann zu handeln. Dies führte zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der Kinder und Jugendlichen, die in der Haasenburg GmbH betreut werden. Diese Entscheidung war falsch. Am 9. Juli 2013 verhängte die Ministerin einen vorläufigen Belegungsstopp sowie Beschäftigungsverbote. Damit schlug sie einen anderen Weg ein, als von unserer Fraktion und von Oppositionsfraktionen gefordert wurde. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und Linke plädierten von Anfang an für eine Schließung der Heime. In der Beratung des Fachausschusses am 15. August begründete die Ministerin ihre Entscheidung gegen eine komplette Schließung der Heime. Nach ihrer Auffassung beträfen die Vorwürfe Situationen, die alle in der Vergangenheit lägen. Zitat: „Begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit des Trägers bestünden nicht.“ Auch die teilweise Aufhebung des Belegungsstopps zum 1. September und die Erteilung von Auflagen wurden von uns kritisch betrachtet. In der Einführung zu Ihrem Bericht resümiert die Kommission: „Was wir erfahren haben, war zum Teil menschlich erschütternd.“ Sie beschreibt ein Menschenbild, das nicht von Empathie geprägt war. Statt auf Willkommenskultur setzen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Machtdemonstration und Einschüchterung. Haus- und Schulordnungen seien restriktiv und verletzten die Menschenwürde. Umgesetzt wurden diese Ordnungen von Menschen, die oftmals nicht für die pädagogische Arbeit qualifiziert waren. Auch insgesamt gab es zu wenig Personal.

Im Bericht benennt die Kommission auch die aus ihrer Sicht Verantwortlichen: „Anhörungen und Akteneinsicht legen den Schluss auf Mängel nicht unerheblicher Art in der Ausübung der Aufsicht über die Haasenburg nahe.“So kritisierten die Kommissionsmitglieder, dass für die Qualitätsprüfung „nicht einmal die Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, die darin vorgesehen waren“. Es wird deutlich, dass bei der Aufsicht versagt wurde. Statt Kontrolle wurde über Jahre versucht, den Träger mittels Beratung davon zu überzeugen, dass Menschen-, Kinder- und Grundrechte einzuhalten seien. Vor 24 Jahren tagte in New York die Vollversammlung der Vereinten Nationen. Am 20. November 1989 wurde die Konvention über die Rechte des Kindes verabschiedet. Gegen zahlreiche Bestimmungen der Konvention wurde in den Einrichtungen der Haasenburg GmbH verstoßen. Die zuständige Aufsicht wollte oder konnte dies nicht zur Kenntnis nehmen. Niemals hätte ich geglaubt, dass solche Zustände in Einrichtungen unter Kontrolle unseres Bundeslandes möglich wären. Ich bin beschämt, betroffen und bestürzt, dass in unserem Bundesland in den Einrichtungen der Haasenburg GmbH über Jahre hinweg Kinder und Jugendliche erniedrigt, verletzt und eingesperrt wurden. Ich bin empört, dass bisher niemand, der Verantwortung für diese Situation trägt, die Kraft aufgebracht hat, sich bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen für dieses Unrecht zu entschuldigen. Wir können heute noch nicht mit Gewissheit sagen, wer dafür Verantwortung übernehmen muss und welche Veränderungen in Abläufen und Strukturen vonnöten sein werden. Klar ist bisher nur, dass es so wie bisher nicht bleiben kann.“

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