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Brandenburg: Im Fokus

Der Verfassungsschutz warnt: Die Zahl islamistischer Extremisten in Berlin steigt. Auch Links- und Rechtsextreme bereiten Staatsschützern Sorgen

Von Frank Jansen

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Berlin - Der Streit zwischen dem Berliner Verfassungsschutz und der Neuköllner Dar-as-Salam-Moschee spitzt sich nach Informationen dieser Zeitung zu. Der Nachrichtendienst nennt in seinem am Dienstag von Innensenator Andreas Geisel vorgestellten Jahresbericht 2016 den Moscheeverein, der sich als „Neuköllner Begegnungsstätte“ (NBS) bezeichnet und betont tolerant gibt, im Kapitel zur islamistischen Muslimbruderschaft. Die 1928 in Ägypten gegründete Bruderschaft ist die älteste islamistische Vereinigung Arabiens. Der Fall ist für die SPD heikel, da der Regierende Bürgermeister Michael Müller im Oktober 2015 den NBS-Imam Mohamad Taha Sabri mit dem Verdienstorden des Landes Berlin ausgezeichnet hatte – obwohl der Verfassungsschutz die Moschee in seinen Jahresberichten erwähnt. Das war der Senatskanzlei offenbar entgangen.

Der Verfassungsschutz spricht, wie schon in den Jahresberichten 2015 und 2014, von Verbindungen zwischen dem Verein „Islamische Gemeinschaft in Deutschland“ (IGD), der als mitgliederstärkste Organisation von Anhängern der Muslimbruderschaft in der Bundesrepublik bezeichnet wird, und der NBS sowie drei weiteren Vereinen. Allerdings hatte nur die NBS im Frühjahr einen Berliner Anwalt eingeschaltet, um der erneuten Nennung im Verfassungsschutzbericht vorzubeugen. Er forderte den Verfassungsschutz auf, innerhalb von zwei Wochen „Anknüpfungstatsachen zu nennen“, sollte der Nachrichtendienst beabsichtigen, die NBS in den Jahresbericht 2016 aufzunehmen. Der Anwalt beantragte zudem Akteneinsicht in die vom Verfassungsschutz zur NBS geführten „Aktenvorgänge“. Die Behörde lehnte ab und geht in ihrem Report detaillierter auf die Moschee ein als in den Jahren zuvor.

Am 11. und 12. März 2016 soll laut Verfassungsschutz in der NBS bei einer Veranstaltung mit 600 Teilnehmern ein „Fatwa-Ausschuss Deutschland“ gegründet worden sein. Zu den Mitgliedern gehörten mehrere muslimische Gelehrte und Theologen, die der Muslimbruderschaft nahestehen. Der Nachrichtendienst sieht hinter dem Fatwa-Ausschuss den „European Council for Fatwa and Research“, der 1997 in London auf Initiative eines Ablegers der Bruderschaft gegründet worden sei. Der führende Ideologe der Muslimbrüder, Yusuf al Qaradawi, verbreite über den Council seine Rechtsgutachten. Laut Verfassungsschutz bestand zwischen al Qaradawi und dem Vorstand der NBS persönlicher Kontakt.

Die erneute Erwähnung im Verfassungsschutzbericht „hat uns getroffen, aber auch mit neuem Mut erfüllt“, schrieb die Sprecherin der NBS am Dienstag. Den Vorwürfen werde widersprochen. Der Fatwa- Ausschuss habe sich nicht in den Räumen der NBS gegründet. „Wir haben nie Bestrebungen gehegt, das von uns hochgeschätzte säkulare demokratische Prinzip Deutschlands in irgendeiner Form zu ändern“, sagt die Sprecherin. Es gebe nicht den Wunsch, „unsere Bundesrepublik islamisch zu unterwandern“.

Das Milieu der Muslimbrüder in Berlin beziffert der Verfassungsschutz auf unverändert 150 Personen. Wie die Muslimbrüder werden auch die 500 Anhänger der türkischen Milli-Görüs-Bewegung dem „legalistischen Islamismus“ zugerechnet, in Abgrenzung zu härteren und gewaltorientierten Gruppierungen. Das islamistische Spektrum in Berlin insgesamt ist allerdings auf 1890 Personen gewachsen. Das ist ein Anstieg um 160 gegenüber 2015. Die Zunahme ging komplett auf das Konto der Salafisten, sie taxiert der Nachrichtendienst im Jahresbericht auf 840 Anhänger. Im ersten Halbjahr sei die Szene sogar auf 880 Personen gewachsen.

Der Verfassungsschutz sieht mit Sorge, dass die Konfrontation zwischen fanatischen Anhängern der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK, 1100 Personen) und den türkischen Nationalisten (400) nicht nachlässt, analog zum Konflikt in der Heimat. Und die Situation dürfte sich bei der vom türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan geplanten Wiedereinführung der Todesstrafe „drastisch verschärfen“. Zumal es „Spekulationen“ gebe, der in der Türkei inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan sei „ein möglicher Kandidat dafür“.

Eine weitere Eskalation befürchtet der Verfassungsschutz bei der Militanz von Linksextremisten. Angesichts der Gewalttaten und brachialen Parolen der Autonomen aus der Rigaer Straße 94 und ihrer Sympathisanten hält es die Behörde für möglich, die Szene werde das Tabu aufgeben, gezielt Menschen zu töten. „Im Zuge der Auseinandersetzungen um die Rigaer Straße hat sich die Tonlage in der linksextremistischen Szene spürbar verschärft“, heißt es im Jahresbericht. „Aufrufe zur Tötung politischer Gegner werden in höherer Frequenz und mit einer unmissverständlichen Diktion veröffentlicht.“ Das gesamte „Personenpotenzial Linksextremismus“ beziffert der Verfassungsschutz mit 2790 Anhängern – 150 mehr als 2015. Zuwächse gab es bei gewaltbereiten Linksextremisten, bei den „Postautonomen“. Gemeint sind Vereinigungen wie die „Interventionistische Linke“, die das Bündnis mit bürgerlichen Gruppierungen sucht. Die klassischen Autonomen schrumpften hingegen ein wenig. Ihnen bescheinigt der Verfassungsschutz, sie bewegten sich „zwischen frustrierter Lähmung und militantem Aktionismus“. Die Rigaer 94 gilt als markanter Beleg.

Militanz bleibt auch ein ständiges Risiko im rechtsextremen Spektrum. „Die Gewaltaffinität ist weiterhin ungebrochen“, warnt der Verfassungsschutz. Als Beispiel wird die „stark ausgeprägte Gewaltbereitschaft der rechtsextremistischen Szene in Neukölln“ genannt. Dort attackieren mutmaßliche Neonazis linke Einrichtungen. Die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten blieb aber mit 700 Personen konstant.Das gilt auch für die gesamte Szene, trotz interner Verschiebungen. Der Verfassungsschutz zählte 1450 Rechtsextremisten. 420 Personen sind ideologisch gefestigte Neonazis. Die NPD baut allerdings weiter ab, erst recht nach ihrem Debakel bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus (2016: 230 Mitglieder, minus 20). Die „Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg“, die 2016 mit Provokationen wie der Besetzung des Brandenburger Tors auffiel, wuchs leicht auf 30 Anhänger. Der Verfassungsschutz erwähnt auch das heterogene Milieu der Reichsbürger. Um die 100 gelten als Rechtsextremisten. Die Szene an sich ist in Berlin aber größer, die Behörde spricht von insgesamt 400 Reichsbürgern. Frank Jansen

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