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Brandenburg: In Angst um die Kinder mischt sich Wut

In Joachimsthal mehren sich Proteste gegen einen entlassenen Sexualstraftäter

Von Matthias Matern

Mit geröteten Wangen und einem nervösen Flattern in den Augen sitzt Grit Brobowski auf dem Sofa im Wohnzimmer und erzählt von der Angst um ihre Kinder. Mit ihren Sorgen ist die 36-jährige Mutter seit der vorigen Woche nicht allein in Joachimsthal. Seitdem am vergangenen Freitag bekannt wurde, dass der als hoch gefährlich eingestufter Sexualstraftäter Werner K. wegen eines Justizfehlers auf freiem Fuß ist und in seinen Barnimer Heimatort zurückgekehrt ist, liegt eine Atmosphäre der Furcht über dem sonst so idyllischen Schorfheidestädtchen: Großeltern sorgen sich um die Sicherheit ihrer Enkel, Väter und Mütter lassen ihre Kinder keine Sekunde mehr aus den Augen. Doch in die Angst mischt sich auch Wut und Empörung über die Panne der Justiz, die dazu führte, dass Werner K. frei durch Joachimsthal spazieren kann, obwohl der Serienvergewaltiger als hochgradig rückfallgefährdet gilt.

„Hier versteht keiner, wie das passieren konnte“, erregt sich Brobowski. „Der Mann gehört einfach in den geschlossenen Vollzug“, fordert sie.

Tatsächlich fällt es nicht nur den Bürgern von Joachimsthal schwer, nachzuvollziehen, wie es zu so einem Patzer kommen konnte. Denn frei ist der heute 49-jährige Täter, der nachweislich sechs Frauen vergewaltigt und mindestens drei Mädchen missbraucht hatte, weil der Bundesgerichtshof (BGH) in Leipzig eine vom Landgericht Neuruppin nachträgliche verhängte Sicherheitsverwahrung ablehnte. Als Begründung führten die Bundesrichter an, dass eine solche Entscheidung hätte früher gefällt werden müssen und eine mangelhafte rechtliche Bewertung lasse sich nachträglich nicht mehr korrigieren. Für Werner K., der bereits 1999 verurteilt wurde und dessen Haftzeit vorigen Sommer ablief, hätte eine Sicherheitsverwahrung schon vor Jahren verhängt werden müssen – und können.

Nun müssen das die Polizisten vor Ort erledigen. Rund um die Uhr beobachten sie Werner K. seit seiner Entlassung. Am ersten Tag haben sie ihn angesprochen und ihm bedeutet, dass er unter permanenter Kontrolle steht, dass er in die Kartei für gefährliche Straftäter „HEADS“ eingetragen ist (siehe Kasten). Seit sich aber der Zorn der Bürger entlädt, sich die Drohanrufe bei der Polizei und K.s Familie häufen, schützt die Polizei nicht mehr nur die Bevölkerung vor K. „Jetzt müssen wir auch Herrn K: schützen, er wird bedroht“, so ein Polizeibeamter. Wie lange das so gehen soll? „Das können wir uns nicht aussuchen: Bleibt K. hier, kann das Jahre lang so gehen“, so ein leitender Polizist. Die Alternative? „Er zieht weg.“

Die Polizisten vor Ort in der Wache in Eberswalde fühlen sich allein gelassen von der Justiz. Selbst in übergeordneten Polizeibehörden wird Kritik laut daran, dass sich das Justizministerium nicht an der Suche nach Lösungen beteiligt. Da hilft es auch nicht, dass das Ministerium den Fall derzeit intern prüft. Wenig hilfreich auch das Verhalten der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPoLG), die den Rechtsstaat abschreiben will: DPolG-Landeschef Frank Domanski forderte in der Vorwoche den „Irrsinn zu beenden“ und K. wieder in Haft zu nehmen; wohlwissend, dass es dafür keine rechtsstaatliche Grundlage gibt.

Dass K. einfach wieder verhaftet wird, wünscht sich auch Grit Brobowski, die mit ihren beiden achtjährigen Kindern, einem Jungen und einem Mädchen, nur wenige Meter entfernt von der Wohnung des Sexualstraftäters in einer Neubausiedlung lebt. Mit mehreren selbst gemalten Bannern an Fassade und an der Straße will sie auf die Situation aufmerksam machen, fordert, den Triebtäter wieder einsperren zu lassen. „Wir müssen einfach etwas machen. Die Leute sind schockiert und haben Angst.“ Ihre Kinder lasse sie nicht mehr alleine auf die Straße. Brobowskis Ehemann, der im Sicherheitsdienst arbeitet und deshalb lieber im Hintergrund bleiben möchte, hat sich extra Urlaub genommen um aufzupassen: „Ich beobachte jetzt täglich das Geschehen vor dem Haus.“ Es gebe zudem genug Menschen in der Nachbarschaft, die nur darauf warten würden, Werner K. einmal ohne Polizei zu treffen, deutet er eine wachsende Gefahr von Selbstjustiz an. Er selbst halte davon jedoch nichts.

Regina Schaal, die Tourismuskoordinatorin des kleinen Städtchens, das als Tor zum Erholungsgebiet Schorfheide gilt, macht sich Sorgen um das Image der Stadt. „Hier handelt es sich offensichtlich um einen Triebtäter, der nicht therapiert werden kann“, sagt sie. Wenn Joachimsthal in den Ruf eines Zufluchtsortes für solche Menschen gerät, könne sich das auch negativ auf den Tourismus auswirken. „Bislang gibt es aber deshalb noch keine Anfragen oder Absagen von Touristen“, sagt Schaal.

Die ehrenamtliche Bürgermeisterin von Joachimsthal, Gerlinde Schneider, warnt indes ihre Bürger davor das vermeintliche Recht selbst in die Hand zu nehmen. Die Ängste der Anwohner könne sie jedoch verstehen.

So rufe Rentner Volker Wetzke, der ebenfalls in der Siedlung lebt, ist eher nachdenklich als ängstlich. „Ich habe drei Töchter und vier Enkel. Die wohnen Gott sei Dank in Berlin.“ Erst am Morgen habe er von der Angelegenheit erfahren. „Ich war drei Tage nicht da und habe mich nur über die Plakate gewundert.“ Das so ein Fehler der Justiz möglich sei, treffe sein Rechtsempfinden erheblich.

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