Brandenburg: Jedes Gepäckstück ist verdächtig
Berliner sind aufmerksamer, die Polizei präsenter / Einen verstärkten Video-Einsatz lehnt niemand ab
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Berlin - Das Ding am Boden sieht verdächtig aus. Klein, schwarz, mit Schaltern und Hebeln. Sofort werden zwei Polizeibeamte aufmerksam, auch Urlauber mit Gepäck sind unruhig. Doch die beiden Frauen, die um das Gerät im ersten Stock des Berliner Hauptbahnhofes knien, haben nichts Böses im Sinn: keine Terrorgefahr, keine Bombe. Das dubiose Gerät ist eine historische Kamera für so genannte Kaiser-Panoramen. Die Menschen sind sensibler geworden, die Sorge vor einem möglichen Terrorattentat ist auch auf Berlins Bahnhöfen und Flughäfen zu spüren. Erst Montagmorgen wurde der Verkehr auf der U-Bahnlinie 3 über eine halbe Stunde unterbrochen. Jemand hatte einen verdächtigen Rucksack bemerkt. Die Sprengstoffexperten des Landeskriminalamtes hatten ihn untersucht – und Turnschuhe darin gefunden.
„Der Terror hat uns erreicht“, sagte Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD gestern. Nach der Festnahme eines der mutmaßlichen Bahn-Bombenattentäters in Kiel sei die Lage ernst, so der Innensenator. Besonders „weiche Ziele“ wie der Nah-, Regional- und Fernverkehr seien in Gefahr. Körting sprach sich für eine flächendeckende Videoüberwachung aus. „Wir prüfen derzeit, auf welchen Bahnhöfen wir die Videoüberwachung ausdehnen, zudem sollen weitere Bahnhöfe mit Kameras ausgestattet werden“, sagte ein Bahnpressesprecher gestern dazu.
Alle größeren Bahnhöfe, wie etwa Zoo, Ostbahnhof, Spandau oder Gesundbrunnen seien bereits mit Kameras ausgestattet. Wer am Hauptbahnhof nach oben schaut, sieht die kleinen Geräte an den Decken. 48 Stunden werden die Daten gespeichert. Dass auch die BVG jetzt ihre Videoüberwachung ausweiten will, begrüßte gestern Berlins Datenschutzbeauftragter Alexander Dix grundsätzlich. Wenn die Bilder aber länger als 24 Stunden gespeichert werden sollen, müsse das Polizeigesetz geändert werden.
Am Hauptbahnhof fallen indes die Mitarbeiter der Bundespolizei stärker auf. In ihren hellblauen Uniformen patrouillieren jetzt 70 Leute in Wechselschichten. „Unsere Mitarbeiter werden jetzt von Kollegen der Bundespolizeiabteilung Blumberg in Brandenburg verstärkt“, sagte Stefanie Kuhn von der Pressestelle der Bundespolizei. Exakte Einsatzzahlen für Berlins Bahnhöfe und Flughäfen wollte sie aus sicherheitstechnischen Gründen aber nicht darlegen. Auch die Bahn zeigt mehr Präsenz auf Bahnsteigen und in Zügen. Unterdessen haben Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus vor Panik gewarnt. „Hysterischer Aktionismus bringt keine Sicherheit, sondern schadet dem Rechtsstaat“, sagte der Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann. Bahn und BVG teilten mit, die vorhandenen Papierkörbe würden nicht abgeschraubt. Reinigungskräfte schauen aber dort genauer nach.
Am Hauptbahnhof wartete gestern Thomas Gietmann auf seinen Zug ins Ruhrgebiet. Den Regionalexpress , der gesprengt werden sollte, nutzt er täglich. „Ich kann mir nun aber nicht ständig einen Kopf machen“, sagt der 41-Jährige. Der Verkäuferin am Saftstand geht es anders: „Angst hat man immer.“
Im „DB Gepäck Center“ geht es zu, wie sonst nur auf den Flughäfen: Wer seinen Koffer abgeben möchte, muss ihn erst durchleuchten lassen. „Lieber so, als dass was passiert“, sagt Bahnkundin Sophie Rimmer. In London gibt es solche Gepäckaufbewahrungen und Schließfächer längst nicht mehr, weiß die Mitarbeiterin eines BBC-Teams, das gerade auf dem Hauptbahnhof filmt. Für Berlin hält die Bahn aber die Schließung der Gepäckaufbewahrung zum aktuellen Zeitpunkt für nicht nötig, sagte Bahnsprecher Volker Knauer.Im Gegenteil. Gerade wurde wegen des Andrangs im Hauptbahnhof ein zweites Durchleuchtungsgerät angeschafft. Es gibt es jetzt öfter Durchsagen, man möge sein Gepäck nicht allein stehen lassen; Taschen werden zudem vereinzelt kontrolliert. Am Pfeiler neben dem „Gepäck Center“ hängt das Fahndungsplakat der Terrorverdächtigen. Einem Reisenden ist mulmig zumute. „Ich komme aus Mallorca. Beim Hinflug hatte ich versehentlich ein Teppichmesser im Handgepäck – aufgefallen ist das nicht.“ (mit kög)
Annette Koegel
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