Von Claus-Dieter Steyer: Jetzt können alle wieder ruhig schlafen
Die Mitglieder der Bürgerinitiative „Freie Heide“ sind glücklich über ihren Sieg Aber nicht jedermann ist nach Feiern zumute, dass das Militär draußen bleiben muss
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Wittstock - Die Telefonkette innerhalb der Bürgerinitiative „Freie Heide“ funktioniert auch am bislang wichtigsten Tag in der 17-jährigen Geschichte reibungslos. Aus jedem der am Ende nicht mehr zählbaren Gespräche unter den rund 50 aktiven Mitgliedern spricht helle Begeisterung, Freude und Genugtuung. „Wir sind zwar kampferprobt im Organisieren von Demonstrationen und Protestaktionen, aber nicht im Feiern“, bekannte der Chef der schon 1992 ins Leben gerufenen Bürgerinitiative. „So lange haben wir auf diesen wunderbaren Tag gewartet und nun sind wir doch völlig platt. Wahnsinn.“
Spontan verabredeten sich die Mitstreiter am Nachmittag im kleinen Fretzdorf am Rande des riesigen Truppenübungsplatzes. Hier knallten dann in Sichtweite der Kirche tatsächlich die Sektkorken. Zwischen Lachen und gegenseitigem Schulterklopfen flossen auch einige Tränen. „Es laufen viele Bilder im Gedächtnis ab“, bekannte eine ältere Frau auf der Dorfstraße. „Wie viele Transparente, Plakate, Flugblätter und Petitionen haben wir in den vielen Jahren geschrieben.“
Der Ort der spontanen Feier war nicht zufällig in Sichtweite der Kirche gewählt worden. Denn die Bürgerinitiative war stets von den örtlichen Pfarrern geprägt worden. Jede Protestwanderung und jeder Ostermarsch begann stets mit einer geistigen Besinnung im örtlichen Gemeindehaus. Spontan erinnerten sich die älteren Mitstreiter an den Beginn der Initiative für eine friedliche Nutzung. 1991 gab es das erste Zusammentreffen mit den damals noch hier stationierten russischen Truppen. „Die haben damals überhaupt keine Rücksicht auf die Einwohner genommen und ihre Tiefflugübungen praktisch zu allen Tages- und Nachtzeiten geflogen“, sagte Pfarrer Benedikt Schirge. „Mit viel Ausdauer und Zureden konnten wir dann wenigstens einige Zugeständnisse erreichen.“ Umso größer war die Enttäuschung, als plötzlich die Bundeswehr ihr Interesse an dem in den fünfziger Jahren widerrechtlich von den Russen beanspruchten Platz im Dreieck zwischen Neuruppin, Rheinsberg und Wittstock erklärte.
In der Stadt Wittstock selbst sind die Meinungen auch am Tag des Rückzugs des Verteidigungsministers geteilt. „Wenn die Bundeswehr gekommen wäre, hätten wir einige sichere Arbeitsplätze erhalten“, sagte eine junge Frau auf dem Marktplatz. „Im Tourismus ist doch alles ziemlich unsicher.“ Tatsächlich gab es in der Stadt in der Nähe des Autobahndreiecks eine sehr geteilte Meinung zum Bombodrom. „Auch ich persönlich hätte mir gern eine andere Entscheidung gewünscht“, meinte Bürgermeister Jörg Gehrmann (parteilos). „Eine fast 1000 Soldaten starke Garnison, die uns die Bundeswehr versprochen hatte, wäre ein Segen für uns gewesen. Nun hoffe ich, dass möglichst viele Menschen bei der Sanierung des Truppenübungsplatzes einen Job erhalten. Vielleicht müssen wir aber noch nicht alle Hoffnungen begraben.“
Wichtig sei aber erst einmal, dass nun endlich Klarheit herrsche. Die Stadtverordnetenversammlung hatte sich kürzlich mit knapper Mehrheit gegen eine militärische Zukunft des Geländes entschieden. Nägel mit Köpfen will in den nächsten Wochen die Unternehmerinitiative „Pro Heide“ machen. „Wir treffen uns mit Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU), um über mögliche Fördergelder für den Tourismus zu sprechen“, kündigte Neuruppins Bürgermeister Jens-Peter Golde an, der als Hotelier einst die Unternehmerorganisation mit ins Leben gerufen hatte (siehe Beitrag rechts). Die Bürgerinitiative „Freie Heide“ wusste gestern noch nicht, ob die für den Sonntag geplante Protest-Demonstration kurzerhand in eine „Freuden-Kundgebung“ umgewandelt wird. „Wir sind Feiern eben nicht gewohnt“, meinte Benedikt Schirge. „Noch nicht“, fügte er hinzu.
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