zum Hauptinhalt
Kinderbilder. Die Eltern schotteten sich und ihre Kinder weitgehend vor der Nachbarschaft ab  eine Tochter, die 11-jährige, versteckten sie über Jahre hinweg ganz in ihrem Haus in Lübbenow. Davon, dass dort Kinder lebten zeugen dieser Tage nur die Bilder im Fenster, denn die Familie wurden auswärts untergebracht  zum Schutz der beiden anderen Kinder, die noch in der Familie leben. Das weggesperrte Mädchen wurde in einer Klinik in Eberswalde untergebracht. Warum die Eltern das Kind versteckten und was sie mit ihm taten, das versuchen Staatsanwälte, Therapeuten und Ämter nun zu ergründen; ebenso wie das offensichtliche Versagen staatlicher wie gesellschaftlicher Mechanismen.

© dpa

Von Peter Tiede: Jugendamt musste schon 2005 eingreifen

Schwester des behinderten Mädchens hatte Entwicklungsdefizite. CDU fordert zentrale Fachaufsicht.

Stand:

Prenzlau/Potsdam - Auf die Eltern, die in Lübbenow in der Uckermark offenbar über Jahre eines ihrer drei Kinder von der Außenwelt abgeschottet und nicht zur Schule geschickt haben, war das Jugendamt des Kreises schon früher aufmerksam gemacht worden, als bisher bekannt. Schon im Jahr 2005, ein Jahr vor den ersten Hinweisen auf die versteckte, geistig und körperlich behinderte Tochter, hatte die damalige Bürgermeisterin der Großgemeinde Uckerland, zu der Lübbenow gehört, das Jugendamt eingeschaltet. Damals sei es um die jüngste, heute 11-jährige Tochter der Familie gegangen, bestätigte die Sprecherin des Landkreises, Ramona Fischer am Donnerstag den PNN.

Der Bürgermeisterin sei Anfang 2005 aufgefallen, dass es bei dem Kind, dass kurz vor der Einschulung gestanden habe, Entwicklungsstörungen und -defizite gab. Daraufhin habe das Jugendamt Kontakt mit den Eltern aufgenommen und durchgesetzt, dass die jüngste Tochter eine Kindertagesstätte besucht und gezielt gefördert wird. „Die Eltern waren in dem Fall kooperativ, auch das Jugendamt hat dort ordnungsgemäß gearbeitet“, so Kreissprecherin Fischer. Das Mädchen habe dann im Herbst normal eingeschult werden können. Wie intensiv der Kontakt mit der Familie war und ob es Hinweise auf das abgeschottete Kind hätte geben können, werde derzeit noch geprüft, hieß es.

Im Jahr darauf war dann, wie bereits berichtet, das Jugendamt von der Bürgermeisterin darauf aufmerksam gemacht worden, dass es in der Familie nicht nur zwei, sondern drei schulpflichtige Kinder gibt und dass eines der Kinder offenbar keinen Kontakt zur Außenwelt habe. Einem Mitarbeiter des Jugendamtes erzählten die Eltern dann, die Tochter sei wegen ihrer Behinderung von der Schulpflicht befreit. Nach bisherigem Kenntnisstand hat der Mitarbeiter diese Angaben dann nicht überprüft und keine weiteren Schritte eingeleitet.

Ob der Fall personelle Konsequenzen haben wird, sei derzeit nicht absehbar, so Fischer weiter. Erst müsse die vom Landrat eingeleitete Prüfung des Falls abgeschlossen sein (siehe Interview unten).

Wie berichtet sollen die aus Berlin in die Uckermark gezogenen Eltern das heute 13-jährige behinderte Mädchen über neun Jahre im Hause versteckt haben. Mitte Juli hatte das Jugendamt die inzwischen 13-Jährige dann nach einem erneuten Hinweis aus der Nachbarschaft aus der Familie geholt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Eltern wegen des Verdachtes der Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. Gegen das Jugendamt werde derzeit nicht ermittelt, sagte ein Sprecher der Ermittlungsbehörde.

Die 13-Jährige werde derzeit in einer Klinik untersucht und betreut. Die Eltern, denen Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht für die 13-Jährige zunächst entzogen wurden, halten sich mit ihren beiden anderen Kindern, der 11-jährigen Tochter und dem 14-jährigen Sohn, derzeit nicht in Lübbenow auf. „Die beiden anderen Kinder haben schon die Herausnahme der Schwester aus der Familie zu verkraften, der Medienrummel im Ort oder eine Trennung von den Eltern wären derzeit zu viel für die beiden“, sagte eine Mitarbeiterin des Kreises Uckermark den PNN. Die Familie habe im Haus als Familienverbund gelebt.

Dass die beiden anderen Kinder noch bei den Eltern sind, kritisierte dagegen die Leiterin des Sozial-Therapeutischen Instituts Berlin-Brandenburg. „Kinder, die solches Leid miterleben müssen, sind nach heutigen Erkenntnissen genauso betroffen wie die Opfer der Gewalt selbst“, sagte Annelie Dunand der Nachrichtenagentur dpa. Es bestehe auch die Gefahr, dass eines der Kinder die Rolle der 13-jährigen Schwester übernehmen und Ähnliches erleiden müsste.

Der Landkreis Uckermark verwahrte sich gegen „diese unseriösen Spekulationen“ aus der Ferne und ohne genaue Kenntnis des Falles. Das Jugendamt habe ständig Kontakt zu den Eltern und den Kindern – auch therapeutisch werde die Familie unterstützt. „Es geschieht alles mit Blick auf das Wohl der Kinder - immer unter Berücksichtigung der Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft“, sagte Kreissprecherin Fischer.

Die ehemalige Bürgermeisterin der Gemeinde, Monika Becker, die in einem Nachbarort wohnt und seit 2008 im Ruhestand ist, berichtete gestern, wie sie vor Jahren von dem versteckten Mädchen erfahren habe: „Auf einer Geburtstagsfeier in der Nachbarschaft erzählten damals Lübbenower, dass immer ein Mädchen am Fenster erscheint, wenn die restliche Familie mit dem Auto wegfährt.“ Das Jugendamt habe daraufhin erklärt, es sei zuständig, die Gemeinde müsse sich nicht darum kümmern.

Brandenburgs Bildungsministerium wies gestern die Forderung des brandenburgischen CDU-Generalsekretärs Dieter Dombrowski nach Schaffung einer zentralen Fachaufsicht des Landes für die Jugendämter zurück. Bereits im Vorjahr habe eine interministerielle Arbeitsgruppe der Landesregierung festgestellt, dass es „weder eine rechtliche noch eine fachliche Grundlage oder Notwendigkeit dafür gibt“, sagte Ministeriumssprecher Karsten Friedel den PNN. „Bei nicht einem schweren Fall von Kindesvernachlässigung oder Misshandlung hätte eine solche zentrale Fachaufsicht etwas geändert – es geht immer um schwere Entscheidungen, die die Mitarbeiter der Jugendämter unter größtem Druck vor Ort treffen müssen“, so Friedel.

Der Geschäftsführer der Liga für das Kind, Jörg Maywald, sagte am Donnerstag im ZDF-Morgenmagazin, für Fälle von Kindesisolation wie in Lübbenow gebe es meist mehrere Ursachen. Unter anderem könne auch die Beziehung zwischen den Eltern und ihrer geistig und körperlich behinderten Tochter eine Rolle gespielt haben. Maywald sprach vom „Aschenputtel-Syndrom“. Das bedeute, dass in diesem Fall die beiden Geschwister der 13-Jährigen „die guten Kinder sind, und ein drittes dann die Position des Aschenputtels hat“. Dabei dürfe auch „die Behinderung eine Rolle gespielt haben“. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })