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Betrugsprozess gegen Linke-Politiker Peer Jürgens: Jürgens schämt sich
Im Betrugsprozess gegen den Linke-Politiker Peer Jürgens schweigt er nicht mehr. Jürgens räumte sogar einen Teil der Vorwürfe ein, aber wies auch einen Großteil zurück. Ein Urteil fällt frühestens im Januar 2017.
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Potsdam – Bislang lief der Betrugsprozess gegen den Linke-Politiker und früheren Landtagsabgeordneten Peer Jürgens vor dem Amtsgericht Potsdam äußerst zäh. Die Beweislage ist alles andere als eindeutig. Nun hat Jürgens erstmals selbst Stellung genommen.
Jürgens: Ich habe einen großen Fehler gemacht
Am Dienstag räumte er einen kleinen Teil der angeklagten Vorwürfe ein – und wies zugleich den Großteil der Anklagepunkte zurück. Der 36-Jährige erklärte, er habe von 2009 bis 2011 zu Unrecht Zuschüsse des Landtags für eine Zweitwohnung kassiert. „Für dieses Handeln schäme ich mich heute“, sagte Jürgens. Er habe einen „großen Fehler gemacht“, als er dem Landtag den Einzug in eine Potsdamer Eigentumswohnung Ende 2009 nicht gemeldet und sogar Anfang 2012 versucht habe, dies zu vertuschen. In der Zwischenzeit erhielt Jürgens weiter Zweitwohnzuschüsse des Parlaments für seine vorherige Mietwohnung in Potsdam. Die Schadenssumme von 7400 Euro hat Jürgens bereits beglichen.
Seine Fehler seien angesichts der hohen Anforderungen an die Integrität von Politikern nicht hinnehmbar, das sei ihm bewusst, erklärte Jürgens. Alle anderen Vorwürfe der Anklage wies er zurück. Die Staatsanwaltschaft Potsdam wirft ihm gewerbsmäßigen Betrug vor. Er soll sich von 2004 bis 2014 mit falschen Angaben zu seinem Wohnsitz Fahrkosten und Mietzuschüsse vom Landtag in Höhe von 87 000 Euro erschlichen haben. Zudem soll er bei der Kreistagswahl in Oder-Spree Wahlbetrug begangen haben, weil er in dem Landkreis gar nicht seinen Hauptwohnsitz gehabt haben soll. Statt wie dem Landtag gemeldet bis 2011 in Erkner bei seinen Eltern und dann in Beeskow, soll Jürgens nach Ansicht der Staatsanwaltschaft zunächst in Berlin und dann in Potsdam erst in einer Miet-, später in einer Eigentumswohnung gelebt haben.
Aus Scham den Landtag nicht informiert
Jürgens erklärte nun, er habe die Eigentumswohnung auf Rat seiner Eltern gekauft, um sich für die Zeit nach einem möglichen Verlust des Abgeordnetenmandats im Landtag abzusichern. Er sei dann davon ausgegangen, dass der Zuschuss des Landtags wie bei der bis 2009 in Potsdam bewohnten Mietwohnung auch für die Eigentumswohnung gezahlt werde. Ende 2011 habe er erfahren, dass dem nicht so ist. Erst Anfang Februar 2012 habe er dem Landtag dann über den Umzug informiert. Er habe dies aus Scham getan, weil er nicht zugeben wollte, zu Unrecht beim Land Mietzuschüsse bekommen zu haben. Zum anderen sei er wegen der finanziellen Belastung durch die hohen Kreditraten nicht in der Lage gewesen, die zu Unrecht kassierten Zuschüssen sofort zurückzuzahlen.
Zudem räumte Jürgens ein, dass es spätestens mit seiner Hochzeit 2013 „zu einer merkbaren Verschiebung meiner Prioritäten“ Richtung Potsdam gekommen sei. Bis dahin war seine politische Tätigkeit in Oder-Spree mit Wahlkreis, Kreistagsmandat und Linke-Kreisvorsitz Schwerpunkt seines Lebens gewesen. Seine Freundin, die in Magdeburg tätig war und ist, sei bereits 2012 nach Potsdam gezogen. Vorherige Versuche, für sie einen Job in Beeskow oder in Potsdam zu finden, seien fehlgeschlagen. „Sie mochte die Wohnung sehr, dekorierte sie und richtete sie ein“, sagte Jürgens. Als Zeichen für die gemeinsame Zukunft habe man trotz Fernbeziehung geheiratet. Wochenweise habe er vermehrt in Potsdam übernachtet.
Warum war der Stromverbrauch seiner Wohnung so niedrig?
Dennoch habe er wegen seiner politischen Ämter mehr als die Hälfte des Monats in Oder-Spree verbracht. Als Beweis legten Jürgens Verteidiger private Kalender vor, in dem zahlreiche Termine im Wahlkreis vermerkt sind. Den geringen Stromverbrauch in der spartanisch eingerichteten Wohnung Beeskow erklärte Jürgens damit, dass er dort nur geschlafen habe. Er sei spät gekommen, habe nach dem Schwimmtraining nicht mehr duschen müssen, habe morgens wie abends außerhalb gegessen. Eine Waschmaschine gab es dort nicht. Der Stromanbieter hatte den niedrigen Verbrauch wie bei Leerstand oder einer Garage eingestuft.
Auch eine bei der Hausdurchsuchung von Ermittlern gefundene Zeitschaltuhr an einer Lampe in der Wohnung kam zur Sprache: Die Staatsanwaltschaft vermutet, Jürgens habe damit seine Anwesenheit vortäuschen wollen. Der Linke-Politiker sprach hingegen von einer Schutzmaßnahme, als Linke-Politiker und Jude sei er von Neonazis bedroht worden, es habe Attacken auf Parteibüros gegeben. Seine Adresse in Beeskow sei über den Kreistag öffentlich bekannt gewesen. Nur im Urlaub habe er deshalb und wie es die Polizei empfiehlt die Zeitschaltuhr benutzt, um Anwesenheit zu zeigen und einen Anschlag zu verhindern. Jürgens Verteidiger wiesen darauf hin, dass die Uhr auch bei der Durchsuchung durch die Polizei im Juni 2014 ausgeschaltet war – wie auf den Ermittlerfotos zu erkennen sei.
Abgelaufener Joghurt im Kühlschrank
Ein damals ermittelnder Staatsanwalt erklärte im Zeugenstand, dass bei der Durchsuchung nur der Zustand der Wohnung zum damaligen Zeitpunkt erkennbar gewesen sei. In seiner Aussage bestätigte der Staatsanwalt den bereits von Jürgens eingeräumten Zustand im Jahr 2014. In Beeskow stießen die Ermittler auf eine nur spärlich möblierte Wohnung, im Kühlschrank lag abgelaufener Joghurt und „irgendetwas Verschimmeltes“. Die Wohnung in Potsdam dagegen sein komfortabel und harmonisch eingerichtet gewesen, gerade so, wie man es sich bei einer Familie und den Lebensmittelpunkt vorstelle. Zugleich räumte er ein, dass es rechtlich und gesetzlich schwer zu definieren sei, was und wo ein Lebensmittelpunkt sei. Im Fall Jürgens sei dies aber nach der Durchsuchung klar gewesen.
Weil das Landgericht Potsdam die Durchsuchung als unrechtmäßig und unverhältnismäßig einstufte, beantragte die Verteidigung, dass die Beweise im Prozess nicht verwertet werden dürfen. Der Leiter der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft Potsdam, Rüdiger Falch, der die Anklage vertritt, nannte den Kammerbeschluss des Landgerichts eine „juristische Fehlleistung aller erster Güte“. Der Beschluss, mit dem die Durchsuchung nachträglich für unrechtmäßig erklärt wurde, sei rechtswidrig. Jürgens Verteidiger hingegen erklärte, die Durchsuchung sei nach höchstrichterlicher Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtswidrig. Zwar genießen in Brandenburg Landtagsabgeordneter nicht per se Immunität, jedoch hätte nach Ansicht des Verteidigers der Landtag über die Durchsuchung informiert werden müssen, um - wie gesetzlich vorgesehen - über die Herstellung der Immunität entscheiden zu können, erklärte der Anwalt.
Ob die Erkenntnisse aus der Durchsuchung nun verwertet werde, darüber will das Gericht erst mit dem Urteil entscheiden. Der als Zeuge geladene Staatsanwalt erklärte, man sei äußerst sensibel in dem Verfahren vorgegangen. Nach einer Anzeige der damaligen Grünen-Landtagsabgeordneten Sabine Niels im Frühjahr 2014 habe man die Vorwürfe sorgfältig auf einen Anfangsverdacht geprüft. Der Eingriff in die Privatsphäre wäre weitaus größer gewesen, wenn man Nachbarn und Wegbegleiter vor der Durchsuchung befragt hätte. Man habe auch nichts beschlagnahmen wollen, sondern lediglich einen Eindruck von den Wohnungen machen wollen. Es sei nicht darum gegangen, so sei es auch dem Ermittlungsrichter beim Antrag auf Durchsuchung erklärt worden, eben nicht die Wohnung zu durchwühlen.
Anspielung auf den Fall Danny Eichelbaum
Zudem habe die Staatsanwaltschaft nach den Erfahrungen in anderen Verfahren gegen andere Landtagsabgeordnete verhindern wollen, dass der Beschuldigte noch etwas verändern kann. Der Staatsanwalt nannte zwar keine Namen, klar war aber, wen er meinte, als er sagte, dass in einem Fall ein Beschuldigter noch vor der Durchsuchung ein Rechtsanwalts-Schild an seinem Haus anbrachte: Es war das Verfahren gegen den CDU-Abgeordneten Danny Eichelbaum. Bei dem ging es um einen Betrugsschaden von 20 000 Euro, das gegen Strafzahlung und Rückerstattung eingestellt worden war. Nach dem Fall Eichelbaum im Jahr 2012 hätte die Staatsanwaltschaft erwartet, dass Jürgens die Reißleine zieht. Als besonderes „Schmankerl“ habe Jürgens dagegen versucht, „ordentlich mitzunehmen, was man kriegt“.
Nach Darstellung von Jürgens und seiner Verteidiger bleibt jedoch die Frage, was ein Lebensmittelpunkt bei einem Lebenswandel wie bei Peer Jürgens ist. Der Angeklagte erklärte, dass durch seine "Tätigkeit als Abgeordneter im Landtag, als Stadtverordneter in Erkner, als Kreistagsabgeordneter und Kreisvorsitzender in Oder-Spree und meines Studiums in Potsdam im beruflichen Leben und im Privaten mit Sport und Beziehungen ein Lebenswandel herauskommt, der in der Zeit von 2004 bis 2014 eben nicht auf einen Ort festzulegen ist.“ Er habe sein Leben als Politiker mit "60, 70 Stunden Arbeit in der Woche mit Leib und Seele" und zwischen den Orten als Pendler gelebt.
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