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Nicht ausreichend. Videokameras sind auf Bahnhöfen zwar vorhanden, trotzdem betrachten laut Polizeigewerkschaft jugendliche Täter den öffentlichen Raum als rechtsfreien Raum. Gefordert wird mehr Sicherheitspersonal in U- und S-Bahnen.

© Michael Gottschalk/dapd

Brandenburg: Kameras sind nicht genug

Nach der Prügelattacke im Bahnhof und der schnellen Freilassung des Täters übt die Polizeigewerkschaft Kritik. Sie fordert mehr Überwachung auf Bahnsteigen. Die BVG will ihr Sicherheitskonzept ändern

Stand:

Berlin - Der brutale Angriff auf den 29-jährigen Markus P. auf dem U-Bahnhof Berlin-Friedrichstraße hat eine neue Debatte über den Umgang mit jungen Gewalttätern ausgelöst. Wie berichtet, wurde der Mann am Sonnabend auf dem Bahnsteig von zwei Männern angegriffen, verprügelt und bis zur Bewusstlosigkeit auf den Kopf getreten. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte am Dienstag erneut eine stärkere Polizeipräsenz und mehr Sicherheitspersonal in den U- und S-Bahnen. Es sei kein Wunder, wenn jugendliche Täter den öffentlichen Raum mittlerweile als rechtsfreien Raum betrachteten, sagte GdP-Chef Bernhard Witthaut. Er sprach von einer „völlig inakzeptablen Geringschätzung der Kriminalitätsopfer“. Im aktuellen Fall lasse sich nach der Freilassung des Täters „der Eindruck schwer ausräumen, man mache sich über die Zukunft der Täters mehr Gedanken als über das weitere Schicksal des Opfers“.

Erst ein zufällig anwesender Tourist aus Bayern hatte den Haupttäter vom Opfer wegziehen können, er wurde daraufhin selbst angegriffen. Markus P. erlitt ein Schädelhirntrauma und einen Nasenbeinbruch. Er konnte bereits am Montagabend das Krankenhaus verlassen.

Die Familie des Opfers ist nach wie vor empört darüber, dass der Tatverdächtige auf freien Fuß gesetzt wurde. Da der Mann nicht vorbestraft ist, gestanden hat und keine Flucht- oder Wiederholungsgefahr besteht, bleibt er bis zum Prozessbeginn in Freiheit. „Ich würde hier eine Wiederholungsgefahr nicht per se ausschließen, aber gegen den Haftverschonungsbeschluss können wir juristisch nichts machen“, sagt der Jurist Thomas Kämmer, der von der Familie als Beistand beauftragt wurde. „Wir werden jetzt aber eine ergänzende Strafanzeige gegen den Beschuldigten wegen versuchten Mordes aus niedrigen Beweggründen stellen.“

Aus Sicht von Kämmer zeigen die Tritte auf den Kopf einen „menschenverachtenden Vernichtungswillen“, der bei Mord als niederer Beweggrund gilt. Er kritisierte, dass lediglich wegen versuchten Totschlags ermittelt wird. „Die Staatsanwaltschaft hat auch die Pflicht, die Interessen des Opfers zu vertreten.“ Falls nötig, werde die Familie versuchen, mit einem sogenannten Klageerzwingungsverfahren den Tatvorwurf des versuchten Mordes in die Anklageschrift zu bringen. „Wir stehen noch ganz am Anfang der Ermittlungen“, hieß es am Dienstag von der Staatsanwaltschaft. Sollten sich neue Hinweise ergeben, könne der Tatvorwurf möglicherweise noch auf versuchten Mord erweitert werden. Stichhaltige Gründe zur Rechtfertigung der U-Haft gebe es jedoch weiterhin nicht.

„Auch wenn es in der medialen Öffentlichkeit anders empfunden wird: Die vorhandenen Möglichkeiten unseres Rechtssystems sind von der Berliner Gerichtsbarkeit angewendet worden“, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Bernd Carstensen. Wichtig sei eine schnelle Anklage vor dem Jugendgericht. „Die Täter dürfen nicht den Eindruck gewinnen, ich gehe mal schnell zur Polizei, erzähle, was stattgefunden hat, und bin fertig damit.“

Die BVG hält die U-Bahn nach wie vor für sicher. Monatlich würden 10 bis 15 Attacken unter Fahrgästen gemeldet, bei insgesamt rund 40 Millionen Fahrgästen, sagte BVG-Sprecher Klaus Wazlak. Trotzdem wird aber, wie berichtet, das Sicherheitskonzept geändert. In Zukunft gibt es wieder Doppelstreifen, bei denen ein Polizist einen Mitarbeiter des BVG-Sicherheitsdienstes begleitet. Vorgesehen ist der Einsatz an Brennpunkten. Steigern will die BVG das subjektive Sicherheitsgefühl auch durch das deutliche Zeigen von Präsenz. Deshalb hat BVG-Chefin Sigrid Nikutta angeordnet, dass auch Fahrscheinkontrolleure an der Kleidung erkennbar sein sollen. Ursprünglich sollte die Kleiderordnung bereits zum 1. April eingeführt werden; ein Einspruch nach der Vergabe des Auftrags hat den Termin jedoch platzen lassen. Nun sollen die Kontrolleure vom 1. Juli an zu erkennen sein.

Auch die S-Bahn will das subjektive Sicherheitsgefühl verbessern. Die Ergebnisse eines Modellversuchs zusammen mit der Technischen Universität sollen Ende des Monats veröffentlicht werden, sagte ein Bahnsprecher. Unabhängig davon seien die Streifen in den Zügen abends und nachts verstärkt worden.

Überlegungen, zusätzliches Sicherheitspersonal über höhere Fahrpreise zu finanzieren, wie es zuletzt der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ins Gespräch gebracht hatte, würden nicht verfolgt, sagte Wazlak. Befragungen hätten ergeben, dass nur wenige Fahrgäste bereit seien, für die Sicherheit extra zu zahlen. Wichtig sei es aber, dass Videoaufnahmen länger gespeichert werden dürfen. Nach derzeit geltendem Recht müssen die Aufnahmen nach 24 Stunden überspielt werden; die BVG setzt sich dafür ein, die Bilder 48 Stunden zu speichern.

Der innenpolitische Sprecher der FDP, Björn Jotzo, forderte den Senat auf, ein „integriertes Sicherheitskonzept“ für den Nahverkehr zu erstellen und umzusetzen.

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