
© Tobias Reichelt
Streik in Teltow: Kassieren ohne abzukassieren
Die Verkäufer der Supermarktketten Real und Kaufland wollen einen Euro mehr pro Stunde. Am Donnerstag haben sie dafür gestreikt
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Teltow - Es sieht nach normalem Einkaufsalltag aus: Die Kassen piepsen, Kunden packen ein und aus und über ihnen dudelt seichte Musik aus den Lautsprechern hinein in den Teltower Real-Supermarkt. Doch an diesem Vormittag ist nichts normal, sagt Carmen Sturm. Denn heute wird gestreikt.
In mehreren Real- und Kaufland-Supermärkten in Berlin und Brandenburg haben am Donnerstag Verkäufer für einen Tag die Arbeit niedergelegt. Im Tarifkonflikt im Einzelhandel in Berlin und Brandenburg wollte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit den Streiks den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen. Rund 250 Verkäufer – die meisten davon Frauen – unter anderem aus Berlin, Neuruppin und Oranienburg hatten sich zu einer Kundgebung in Teltow versammelt.
Verdi fordert für die insgesamt rund 199 000 Einzelhandelsbeschäftigten unter anderem eine Erhöhung der Vergütungen um einen Euro pro Stunde, die Anhebung der Lehrlings-Vergütung und die Angleichung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes ans Westniveau. Die Arbeitgeber hatten zuletzt 2,5 Prozent mehr Geld ab Oktober sowie weitere 1,5 Prozent ab Juli 2014 angeboten.
Das reicht Carmen Sturm bei Weitem nicht. Die blonde Verkäuferin ist Verhandlungsführerin für Verdi. „Wir fordern die Wiedereinsetzung des Manteltarifvertrages“, ruft Sturm gegen den Lärm der Trillerpfeifen an, die ihre Kollegen auf dem Parkplatz vor dem Teltower Supermarkt schrillen lassen. Es wird auch getrommelt und geschrien, doch durch die Supermarktdrehtür dringt die Wut der Verkäuferinnen nicht. „Denen geht es wohl zu gut?“, ruft ein alter Mann, als er die heile Einkaufswelt verlässt. Dort drinnen arbeiten Aushilfskräfte und die, die nicht streiken wollen, oder sich nicht trauen. Viele Kunden haben aber Verständnis für den Streik der Frauen. Einige kommen der Verdi-Aufforderung nach und drehen mit dem leeren Einkaufswagen wieder um.
Ohne Not, sagt Carmen Sturm, hätten die Arbeitgeber den Tarifvertrag im April gekündigt. Sie würden Verschlechterungen für die Beschäftigten erpressen wollen. Die von den Arbeitgebern angekündigte Lohnerhöhung gebe es nur, wenn Zulagen für Spät- und Nachtschichten gestrichen und eine Niedriglohngruppe für die Warenräumung von 8,24 Euro pro Stunde eingeführt wird – 8,50 Euro für Angestellte in alten Bundesländern. Das wäre für viele eine satte Lohnkürzung.
„Statt mehr Geld geben sie uns weniger“, sagt Kaufland-Verkäufer Steffen Knitter-Richling. Auf einen Stundenlohn von rund 13 Euro kommt er im Moment, selbst wenn er Regale einräumt. Seine Kolleginnen nicken. Es sei nicht nur das Gehalt, das sinken würde, nein, die Verkäufer sollen auch noch flexibler eingesetzt werden, sagt Sylvia Schubert. „Die wollen, dass wir schön neben dem Telefon sitzen und auf den Anruf warten, dass gerade mehr Kunden in den Laden gekommen sind und wir gebraucht werden.“ Eine Katastrophe sei das für alle.
Freie Samstage oder überhaupt eine planbare Arbeitszeit gebe es dann nicht mehr, sagt auch Real-Verkäuferin Sylvia Haucke. „Wir sind schon flexibel genug, jeden Tag von 6 bis 22 Uhr.“ 90 Prozent der Verkäufer seien Frauen. Was sei denn mit den Müttern, die ihre Kinder abholen müssen? Was mit den Älteren, die Arzttermine haben oder sich um Pflegebedürftige kümmern müssen?, fragt Haucke.
Die Supermarktketten halten sich derweil bedeckt. Man respektiere die Teilnahme der Verkäufer am Streik, hieß es lediglich auf Anfrage der PNN. Darüber hinaus blieben alle Märkte auch bei einem Streik geöffnet. Einkaufen ohne Beeinträchtigungen, so die Nachricht.
Doch vor Ort war die Skepsis bei der Chefetage spürbar. In sicherem Abstand verfolgte ein Mitglied der Real-Personalabteilung den Aufmarsch der Verkäuferinnen vor der Teltower Filiale. Die Supermärkte müssten sparen, sagte der Mann in Nadelstreifen. Seinen Namen wollte er nicht nennen. Aber sicher sei, wenn die Verkäufer weiterhin für 13 Euro Regale einräumen, dann werden ihren Job bald Fremdfirmen übernehmen. Die würden dann nur rund 6 Euro in der Stunde zahlen. „So gesehen zahlen wir mit 8,24 Euro dann sogar 2 Euro mehr.“
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