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Brandenburg: Kein Abflug in Sicht

Auf der Baustelle des neuen Flughafens in Schönefeld gibt es kaum Fortschritte. Die Sanierung des Terminals kommt nicht voran. Selbst Raumnummern fehlen. Hartmut Mehdorn will am 12. Dezember den Eröffnungstermin verkünden. Droht die nächste Absage?

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Noch zweieinhalb Monate. Hartmut Mehdorn will am 12. Dezember dem Aufsichtsrat verkünden, wann der neue Flughafen für Berlin und Brandenburg eröffnen kann. Aber auf der Baustelle in Schönefeld geht es kaum voran. Das belegen der jüngste Brandbrief des neuen Technikchefs und früheren Siemens-Regionalmanagers Jörg Marks, der „12. Sachstandsbericht BER“ Mehdorns vom 30. September und diverse Unterlagen für den Aufsichtsrat. Am 8. Mai 2012 war die Eröffnung von „Europas modernstem Flughafen“ kurzfristig abgeblasen worden. Um den fertigzustellen, haben Berlin, Brandenburg und der Bund seitdem Kapitalspritzen über 2,3 Milliarden Euro bewilligt. So viel, wie der BER ursprünglich kosten sollte. Seit März 2013 ist Hartmut Mehdorn Chefmanager. Die PNN analysieren, wie es aktuell um den BER steht.

FLUGGASTTERMINAL

39 von 40 BER-Gebäuden sind fertig. Das betont Mehdorn regelmäßig, „bis auf das Terminal“. Das entscheidende Hauptterminal aber ist von einer Fertigstellung weit entfernt. Der neue Technikchef Marks spricht bewusst von einer „Sanierung im Bestand.“ In den Berichten für den Aufsichtsrat aus dem laufenden Jahr stehen für das Terminal die Ampeln, die den Fortschritt symbolisieren sollen, unverändert auf Rot. Nicht einmal ein Viertel der Arbeiten, die zu erledigen sind, sind nach dem internen Controlling aktuell geschafft.

Symptomatisch dafür ist das seit 2012 bekannte Wirrwarr um die Raumnummern, das erst jetzt behoben werden soll. Das „inkonsistente Raumnummernsystem“ war in den Chaosmonaten Ende 2011/Anfang 2012 entstanden. „Im Ergebnis lassen sich Räume nicht mehr eindeutig auffinden. Zum Teil passen Raumnummern und die Lage im Gebäude nicht zueinander“, heißt es im aktuellen Sachstandsbericht Mehdorns. „Aus diesem Grund hat die Raumnummernproblematik in den vergangenen Monaten immer wieder zu Schwierigkeiten bei der Sanierung des Flughafens geführt.“ Ohne diese Nummern ist das Gebäude nicht abnahmefähig, da Feuerwehr und Rettungsdienste nicht wissen, wo sie hinsollen. Und es kann nicht begonnen werden, die Entrauchungsanlage zu programmieren.

Die Entrauchungsanlage bleibt auch technisch ein Hauptproblem. Die nicht funktionsfähige Zentralanlage, abweichend von den Plänen und Genehmigungen gebaut, schafft es nicht, Rauch punktgenau dosiert aus dem letzten Winkel des Terminals zu saugen – sie soll deshalb in mehrere beherrschbare Anlagen aufgeteilt werden. Aktuell ist man im Konzeptstadium, es werden Entwurfs- und Ausführungsplanungen erstellt. Der Umbau selbst muss erst vom Bauordnungsamt genehmigt werden. Und für die Programmierung wartet der Siemens-Konzern auf die Matrix, also auf die Szenarien zur Steuerung. Auch bei der „Herstellung einer genehmigungsfähigen Hauptverkabelung“ – die Trasse ist überbelegt und brandanfällig – ist man im Rückstand. Unkalkulierbar bleibt die „Deckenhohlraumsanierung“, die nötig ist, weil der Innenausbau im Terminal in den hektischen Monaten 2011/2012 verpfuscht wurde. In überbelegten Schächten liegen Starkstrom- und Computerkabel nebeneinander. Es geht auch um fehlende oder gepfuschte Brandschottungen und um hinter Wänden versteckte Brandschutzmängel. Die machen das Gebäude im Inneren latent porös. Entrauchungsprobleme drohen, selbst wenn die Technik einmal funktionieren sollte. „Durch die Vielzahl von Verdachtsfällen drohen zeit- und kostenaufwendige Eingriffe in den Baukörper“, heißt es in einem Mehdorn-Bericht. Man habe aber ein „Stichprobenkonzept für die Feststellung nicht sichtbarer Mängel entwickelt“ und erwägt nun „Brandversuche“ im Terminal „zur Sicherung der Genehmigungsfähigkeit“.

NORDPIER

Der nördliche Seitenflügel des Terminals gilt eigentlich als Objekt mit den wenigsten Problemen. Trotzdem liegt Mehdorn selbst hier mindestens ein halbes Jahr hinter seinen Ankündigungen zurück. Er wollte im Nordpier ab April 2014 die ersten Passagiere abfertigen, was dann – wie auch sein Testbetrieb – abgeblasen wurde. Zwar wurden kürzlich die Bauarbeiten im Nordpier beendet und dies der Bauaufsicht gemeldet. Doch vom Landratsamt Dahme–Spreewald gibt es Nachforderungen und bisher keine Nutzungsfreigabe. Es werde wohl noch bis Jahresende dauern, heißt es. Zudem wurde bisher lediglich der ursprünglich genehmigte Zustand „Klassik“ hergestellt. Wegen veränderter Anforderungen muss das Nordpier umgebaut werden, Mehdorn sprach von „Ummöblierungen“, was neue Arbeiten und neue Genehmigungen erfordert.

KAPAZITÄT

Der neue Flughafen ist schon jetzt zu klein. 2014 werden in den Alt-Flughäfen Schönefeld und Tegel bereits 27 Millionen Passagiere erwartet, so viele wie die konzipierte Kapazität im BER. Und die Passagierzahlen wachsen weiter. Nach der „Luftverkehrsprognose für den Flughafen Berlin Brandenburg BER“ der Firma Intraplan Consult aus München vom 25. Februar 2014 werden es 2016 bereits 31,4 Millionen Passagiere sein, 36,3 Millionen 2020 und sogar 45,5 Millionen 2040. Frühere Prognosen waren immer zu niedrig und mussten nach oben korrigiert werden. Wegen Fehlplanungen können aber im Terminal zum BER-Start laut Mehdorn bislang nur 21 Millionen Passagiere abgefertigt werden, es gibt zu wenige Check-in-Schalter, die Gepäckanlage ist zu klein. „Es fehlen Rückfallebenen, kleinste Abweichungen werden zum Systemzusammenbruch führen“, warnte Mehdorn den Aufsichtsrat. Er hat inzwischen grünes Licht für Planungen, um für eine Übergangszeit nach der BER-Inbetriebnahme das alte Schönefelder Terminal weiter als zweite Abfertigungshalle zu nutzen. Das kollidiert mit dem geplanten Regierungsairport, ist aber die einzig realistische Möglichkeit, ein Eröffnungsfiasko abzuwenden. Doch muss das alte Terminal ertüchtigt werden. Geplant ist eine „Grundsanierung im laufenden Betrieb.“ Und die muss vor Baubeginn von der Bauaufsicht genehmigt werden.

SCHALLSCHUTZ

Der BER darf erst ans Netz, wenn der Schallschutz für die Anwohner realisiert ist. Im „Tagschutzgebiet“ unmittelbar ringsum betrifft das 14 000 Wohnungen. Keine einzige hat bisher Schallschutz. In den letzten Monaten hat Mehdorn alle Kräfte darauf konzentriert, damit zuerst 4300 Haushalte an der neuen BER-Südbahn bis 30. September die nötigen Bewilligungen erhalten. Denn nur dann darf ab Ende März 2015 auf der Südbahn geflogen werden – um die alte Schönefelder Nordbahn sanieren zu können. Der Flughafen hat 3000 Bescheide verschickt. Für die Lücke von 1300 Haushalten macht Mehdorn allein Versäumnisse von Anwohnern verantwortlich. Ob die Behörden dem folgen, die Nordbahn damit vor BER-Start und nicht später viel teurer bei laufendem Betrieb saniert wird, ist offen.

ORGANISATION UND MANAGEMENT

Die Entscheidungs-, Kommunikations- und Führungsstrukturen am Flughafen sind mangelhaft. Das ist der Befund von Technikchef Jörg Marks, nach einem Monat im Amt. „Es gibt keine gemeinsamen Begehungen und nur unzureichende Baubesprechungen. Die Zuständigkeiten der Ansprechpartner wechseln häufig. Daraus resultiert, dass gestellte Fragen nur unzulänglich oder gar nicht mehr beantwortet werden“, schrieb Marks. „Dadurch ergeben sich undurchsichtige Entscheidungsprozesse. Wir sind zu langsam (lange Antwortzeiten), zu kompliziert (Planungen selbst bei Kleinigkeiten) und zu unverbindlich (wer entscheidet und bis wann).“

Auch die Korruptionsaffäre um den gefeuerten Technikchef Jochen Großmann brachte Verzögerungen. Aktuell sucht der Flughafen einen „Koordinator Projektsteuerung“ und zwar „ab sofort“. Er wird benötigt für die „Koordination und Steuerung des Projektsteuerers und der Projektbeteiligten. Ein Steuerer zur Steuerung des Steuerers.

AUSBLICK

Der interne Fahrplan Mehdorns sieht vor, den BER im Jahr 2016 zu eröffnen. Angesichts der geringen Baufortschritte und der Risikofülle ist das ehrgeizig, und schon knapp. Unwahrscheinlich ist, dass Mehdorn dem Aufsichtsrat am 12. Dezember – am Tag nach dem Rücktritt von Klaus Wowereit als Regierender und als Aufsichtsratschef – einen Eröffnungstermin verkünden kann – jedenfalls keinen verbindlichen, wie die Vorgabe Berlins, Brandenburgs und des Bundes lautet. Zudem fehlt für die jüngste, von den Parlamenten bisher nicht beschlossene Kapitalspritze über 1,1 Milliarden Euro das grüne Licht aus Brüssel. Auch hier gibt es bereits Verzug. Die Baugenehmigung für das neue Terminal läuft 2016 aus. Jeder Monat, um den sich die Eröffnung verzögert, kostet 17 Millionen Euro. Das sind Tag für Tag eine halbe Million Euro.

nbsp;Thorsten Metzner

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