Brandenburg: Kinder in Not – Berliner immer wachsamer Zunehmend mehr Anrufe bei den Hotlines
Doch das Netzwerk Kinderschutz hat noch Löcher
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Berlin - Die breite und intensive Debatte über Vernachlässigungen und Misshandlungen von Kindern hat zu einer verstärkten öffentlichen Wachsamkeit geführt: Seit der Gründung der zentralen „Hotline Kinderschutz“ im Mai in Berlin haben sich dort rund 700 Anrufer gemeldet. Und bei den Notrufnummern der zuständigen Jugendämter in den zwölf Berliner Bezirken gingen allein in den vergangenen 14 Tagen 760 Anrufe besorgter Bürger ein. In 127 Fällen mussten aufgrund dieser Meldungen Jungendamtsmitarbeiter tätig werden und Kinder aus den Familien nehmen.
Gegründet worden war die „Hotline Kinderschutz“ im Rahmen des Netzwerks Kinderschutz, das das Land Berlin im April 2007 nach den vielen dramatischen Fällen von Kindesverwahrlosung und -misshandlung auf den Weg gebracht hatte. Dabei sollen Kinderschutzorganisationen sowie Polizei, Jugendämter, Hebammen und Kinderärzte intensiver kooperieren. Bei der Vernetzung der Behörden nimmt Berlin eine Vorreiterrolle ein, bildet aber auch die Spitze bei Kindesmisshandlungen in Deutschland: 2006 erfasste die Polizei 563 Fälle.
Die vielen Anrufe belegten, dass das Netzwerk funktioniere, sagte die Stadträtin des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann (Grüne). Es seien vor allem „Nachbarn und das direkte Umfeld der Familien“ gewesen, die ihren Verdacht meldeten. Auch die Polizei hatte bereits in den vergangenen Wochen berichtet, dass die Gründung der „Hotline Kinderschutz“ dazu beigetragen habe, dass immer mehr Fälle gemeldet würden. Das führe dazu, dass statistisch auch die Zahlen der Kindesvernachlässigung und -misshandlung in diesem Jahr wieder steigen werden. An die Beteiligten des Kindernotgipfels der Bundesregierung appellierte Herrmann, es nicht bei Absichtserklärungen und neuen Modellprojekten zu belassen: „Wir brauchen endlich die erforderliche Finanzierung der Kinder- und Jugendhilfe“. Es helfe auch nichts, wenn der Kinderschutz im Grundgesetz verankert, „aber danach nicht gehandelt wird“, sagte sie.
Auch, wenn die hohe Zahl an Anrufen erschreckend sei, zeigen sie, dass das Kinderschutz-Netzwerk funktioniert“, sagte Kreuzbergs Jugendamtsleiter Thomas Harkenthal. Konrad Koschek vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin wünscht sich zukünftig eine verstärkte Teilnahme der freien Träger am Berliner Netzwerk, für das die Berliner Bezirke im kommenden Jahr zusätzlich 24 Stellen für Sozialarbeiter in Jugendämtern bekommen. Dennoch kritisiert Koschek, dass die Zusammenarbeit im Kinderschutz weiter verbessert werden müsse. Zudem mangele es an Geld. „Kinderschutz ist nicht kostenlos“, mahnte er . Die Mittel im Jugendhilfeetat für 2008 und 2009 halte er für nicht ausreichend. Auch Kreuzbergs Jugendstadträtin Monika Herrmann (Grüne) betont, dass „in der Jugendhilfe nachweisbar 22 Millionen Euro fehlen“. Wegen der Etatkürzungen der Bezirke würden auch 2008 wieder Jugendeinrichtungen und Schulstationen geschlossen. Scharf kritisierte die Stadträtin den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit: „Unter seiner Regierung sind die Mittel der Jugendhilfe in den vergangenen sechs Jahren dramatisch gekürzt worden“, sagt sie. Daher mute es fast zynisch an, wenn er nun den anstehenden Kindernotgipfel der Bundeskanzlerin begrüße.
Das Netzwerk soll vor allem präventiv wirken. So etwa mit vier Modellprojekten freier Träger – der so genannten „Aufsuchenden Elternhilfe“. Hier besuchen ehrenamtliche Helfer Familien zu Hause – ähnlich wie es in Brandenburg derzeit in Modell-Netzwerken schon der Fall ist.
Marion Niendorf vom Hilfsprojekt „Kids“ für Kinder aus Familien mit psychisch kranken Eltern, forderte eine noch stärkere präventive Arbeit. Zu häufig werde bei Familien erst dann eingegriffen, wenn die Krise bereits da sei. Etwa 22 000 Familien – so schätzen Experten – leiden in Berlin unter psychischen Erkrankungen eines oder mehrerer Mitglieder. Ungefähr 78 500 Kinder wachsen in Familien auf, in denen mindestens ein Elternteil Alkoholiker ist. 121 000 Kinder unter 15 Jahren leben zudem in Hartz IV-Haushalten. Das Netzwerk Kinderschutz möchte die Eltern daher möglichst früh auf Hilfsangebote aufmerksam machen. Ein „Frühwarnsystem“ zum Thema Geburt, wie es in Brandenburg schon erprobt wird, wird in Berlin derzeit ausgearbeitet. Dabei sollen zum Beispiel werdende Mütter regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen eingeladen werden.
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