Brandenburg: Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer Nach Ansicht von Experten kann die Politik
die Probleme in Berlin „kaum bewältigen“
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Berlin - Auf Berlin kommen Herausforderungen von enormen Ausmaßen zu – und noch weiß kaum jemand, wie darauf zu reagieren ist. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und vor allem die damit einhergehende dramatische Zunahme von Sozialausgaben für ältere Berliner sind Probleme, die aus Sicht von Fachleuten wie dem Stadtsoziologen Hartmut Häussermann „kaum zu bewältigen“ sind. Das führt dazu, dass Berlin zunehmend zu einer Stadt der Extreme werden dürfte: Einerseits ziehen Jahr für Jahr mehr junge und gutverdienende Menschen hierher, andererseits nimmt die Zahl derjenigen dramatisch zu, die bis an ihr Lebensende auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Eine jetzt zunehmend sichtbare Folge sind explodierende Ausgaben vor allem bei Grundsicherung, Pflege und sonstigen Hilfen in Notlagen.
Stadtsoziologe Häussermann spricht von der „Rückkehr der Altersarmut“, wie sie zuletzt in den 1950er und 60er Jahren registriert wurde. Betroffen davon seien zum Beispiel frühere DDR-Bürger, die zur Wendezeit etwa 50 Jahre alt waren – „und von der Arbeitslosigkeit erwischt wurden“. Viele von ihnen lebten heute in den Plattenbauten in Lichtenberg, Hellersdorf und Marzahn-Nord, aber auch in den Stadtteilen Wedding, Kreuzberg und Neukölln. Denn dort leben viele Migranten, die ebenfalls nach der Wende infolge des Abbaus der subventionierten Industrie Westberlins ihre Arbeit verloren. Als weitere „Risikogruppe“ nennt Häussermann Frauen: Deren Erwerbsbiografie sei oft durch eine Kinderpause unterbrochen. Weil sie außerdem für die gleiche Arbeit oft weniger verdienen als Männer, sei deren Rente besonders niedrig.
Alarmierende Zahlen hatte die „Gesundheitsberichterstattung“ des Senats bereits Ende 2009 veröffentlicht: Die Zahl der Pflegebedürftigen werde bis zum Jahr 2030 um 80 Prozent steigen, hieß es in der Prognose. Wie stark der Haushalt durch die demografische Entwicklung in der Stadt belastet wird zeigt auch diese Zahl: Die Verwaltung prognostiziert auch einen Anstieg der Pflegebedürftigkeit um zwei Drittel unter den über 65-jährigen, die aufgrund ihrer geringen Rente auf Mittel zur Grundsicherung angewiesen sind, also auf öffentliche Gelder. Der Senat zeigt sich problembewusst: Die Stadtentwicklungsverwaltung verweist auf das Demografiekonzept, in dem die Landesregierung vor gut einem Jahr die bevorstehenden Veränderungen in der Berliner Bevölkerungsstruktur beschrieben hat und politische Maßnahmen dazu vorstellt. Dabei wird deutlich, wie stark die soziale Kluft bei der älteren Bevölkerung wächst: Einerseits gibt es die „aktiven Älteren“, die ihre zusätzliche Lebenszeit konstruktiv nutzen, ihr Leben selbstbestimmt, aktiv und gesellschaftlich verantwortungsvoll gestalten. Andererseits gibt es die Risikogruppe derjenigen, denen Altersarmut droht, weil sie bereits lange vor dem 65. Lebensjahr kein oder ein zu geringes Einkommen haben. Bei den Möglichkeiten, dem entgegenzusteuern, bleibt der Senat jedoch vage. So sollen das gesellschaftliche Engagement und die politische Mitwirkung von Senioren gefördert werden, es soll mehr Sportangebote, medizinische und pflegerische Beratungsstellen und Hilfen zur Mobilität angeboten werden.
Aus Sicht der Opposition ist das zu wenig. Ramona Pop, Fraktionschefin der Grünen im Abgeordnetenhaus, und Gregor Hoffmann, sozialpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, sehen das Hauptproblem in der rot-roten Wirtschaftspolitik, die zu wenige Arbeitsplätze geschaffen habe, mit denen sich ein auskömmliches Leben auch im Alter absichern lässt.
Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) will angesichts der explodierenden Sozialkosten nun gegensteuern. Auf einer Veranstaltung des Verbandes Berliner Kaufleute und Industrieller am Montag forderte er mehr Transparenz im Bereich der Pflege und der sozialen Träger, „damit das Geld bei den Bedürftigen ankommt und nicht in Leitungsnetzen versickert“. Dass die Not Berliner allen Alters trifft, macht der Kinderschutzbund deutlich. Nach dessen Angaben ist die Kinderarmut in Berlin so hoch wie sonst nirgends in Deutschland.
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