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Von Peter Tiede: Komm doch, Krise!

Vorteil Provinz: Forscher haben die Krisenfestigkeit von Kommunen getestet und Überraschendes gefunden

Stand:

Potsdam/Hannover - Die große Krise könnte kommen – ohne, dass Brandenburg und Berlin darunter sonderlich dramatisch leiden würden – zumindest weniger als Große Teile Deutschlands. Sonderlich viel einbilden kann sich die Region darauf nicht: Denn die Krisenfestigkeit ist nach Ansicht der Forscher des Hannoveraner Pestel-Instituts, die die Studie am Dienstag veröffentlichten, auch Ergebnis einer industriellen Unterentwicklung besonders des ländlich geprägten Brandenburg.

Die Wissenschaftler um Matthias Günther hatten die Krisenfestigkeit deutscher Kommunen für den Fall einer globalen Wirtschafts- und Ökonomie-Krise mitsamt Rohstoffmangel untersucht. Und sich „am Ende selbst doch stark gewundert“, wie Günther am Dienstag den PNN sagte: Ganz Ostdeutschland – mit Ausnahme der Kohleregion rings um Cottbus herum – erstrahlte auf der Karte der Forscher in beruhigendem Dunkelgrün – der Farbe der Besten. Nur das Vattenfallland in Südbrandenburg verfärbte sich in neutrales Krisen-Weiß, was auch daran liegt, dass dort überdurchschnittlich viele Arbeitsplätze in der Industrie und vor allem in der Energiewirtschaft vorhanden sind.

In dem Ranking belegte die Stadt Potsdam den 13., der Kreis Potsdam-Mittelmark den 27. und Berlin den 52. Platz. Bundesweit die besten Ergebnisse verbuchten die Forscher für Kommunen in Baden-Württemberg: die Stadt Heidelberg (Platz 1), den Landkreis Koblenz (2) und Freiburg/Breisgau (3). Insgesamt hatten die Forscher 412 Regionen in Deutschland dem Krisen-Stresstest unterzogen. 18 Indikatoren aus den Bereichen Soziales, Wohnen, Verkehr, Flächennutzung, Energie und Wirtschaft zeigen die Krisenresistenz an. Und das Pestel-Institut sieht in der Studie keine rein hypothetische Fragestellung: „Ob Banken kollabieren, Rohstoffe knapp werden oder der Klimawandel die Ernährungssicherheit bedroht, mag offen bleiben“, sagt Günther, „die nächste Krise aber kommt ganz bestimmt“.

Der grüne Osten erklärte sich den Wissenschaftlern auch damit, dass dort eben besonders viele ländliche, dünnbesiedelte Regionen liegen. „Und, machen wir uns nichts vor: Solche Regionen sind schon immer besser durch Not und Krisen gekommen“, sagte Günther. Also: Wo nicht viel ist, kann auch nicht viel wegbrechen? „Ganz so platt würde ich das nicht sehen“, sagt Günther, aber: Grundsätzlich sei „da auch etwas dran“. Insgesamt müsse man sich angesichts der guten Ergebnisse „für global weniger gut vernetzte Regionen“ fragen, ob „wir nicht überglobalisiert sind“. Günthers Fazit: Das „nicht unbedingt internationale Wettbewerbsfähigkeit Sicherheit für die Zukunft signalisiert“. Wichtig seien Bereiche, die in der öffentlichen Diskussion „eher vernachlässigt“ werden: „Dezentrale Energieversorgung, soziale Stabilität, Verfügbarkeit von land- und forstwirtschaftlichen Flächen und Arbeitsplätze vor Ort helfen bei der regionalen Abfederung von Krisen weit mehr.“

So spielte auch die im Osten im Vergleich zu vielen westdeutschen Regionen niedrige Quote an – ja im Zweifel noch abzuzahlendem oder in Krisenzeiten unverkäuflichem – Wohneigentum eine Rolle. Eine Mietwohnung kann in einer Krise kurzfristig gekündigt werden, wenn sich die Mieter räumlich verkleinern müssen oder in eine andere Region umzuziehen wollen: Mietwohnungsbewohner sind mobil, das werten die Forscher als Vorteil.

Positiv gewertet wird auch der hohe Anteil an land- und forstwirtschaftlichen Flächen (für Nahrungsmittel sowie alternative Energieträger bei Erdölknappheit). In jedem sonst üblichen Wirtschaftsranking bringen solche Flächen eher Abzüge.

Positiv für den Landkreis Potsdam-Mittelmark hat sich auch dessen finanzielle Lage ausgewirkt: bei den öffentlichen Schulden und Kassenkrediten je Einwohner bekam er Bestnote 1 (Potsdam: 2). Und für die Landkreise im Wind- und Bioenergie-Land Brandenburg gab es auch Pluspunkte beim Anteil von Windkraft- Biogas- und Solarkraftleistung je Einwohner: viele Windräder, große Solarparks und jede Menge Biogasanlagen geteilt durch drastisch unterdurchschnittliche Einwohnerzahlen ergibt: Bestnote 1 (u.a. Uckermark und Potsdam-Mittelmark).

Auch für die Stadt Berlin haben die Forscher aus Hannover gute Nachrichten für den Fall, dass Kriege oder Engpässe von Primärenergie oder Lebensmitteln das weit verzweigte Netz des globalen Handels einreißen: Großstädte wie die Hauptstadt punkten auch mit dem geringen Anteil an Individualverkehr und einem gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr (je Note 1; Potsdam: je 1, Mittelmark: 2), was ebenfalls bei Treibstoffknappheit von Vorteil ist. Insgesamt setzt sich Berlin zusammen mit Hamburg deutlich von anderen Ballungsgebieten ab – auch, wenn Berlin im Sozialen Bereich (Hartz-IV-Empfänger-Quote und Schulabgänger ohne Abschluss) gleich zwei mal die schlechteste Note 3 erhält. Dass Berlin auch ganz groß im Schuldenmachen ist (Note 3), verhindert auch eine noch bessere Platzierung.

In ihrer Studie folgen die Forscher den Spuren ihres Gründers Eduard Pestel. Der hatte an den viel diskutierten Berichten des Club of Rome mitgewirkt, darunter die „Grenzen des Wachstums“, in dem das Ende der ewig prosperierenden Weltwirtschaft vorausgesagt wurde.

Auf Industriekrisen jedenfalls ist Potsdam ganz gut vorbereitet: Die Landeshauptstadt hat bundesweit den, wie es Forscher Günther nennt, „geringsten Besatz mit Industriearbeitsplätzen“. Was in der Umkehr bedeutet: In Potsdam arbeiten derart viele Beamte und Angestellte, dass eine Wirtschaftskrise nicht viel an der Produktivität und Wertschöpfung ändern könnte: Wer nichts herstellt, dem kann auch kein Rohstoff ausgehen. (mit bal)

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