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Brandenburg: Krankgezüchtet
Eine Studie aus Eberswalde zeigt: Kühe, Schweine und Hühner leiden unter wachsendem Leistungsdruck in der Massentierhaltung
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Eberswalde - Kreislaufprobleme, Euter- und Klauenentzündungen, Fruchtbarkeitsstörungen – Leistungssteigerung durch Zucht macht Nutztiere krank. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion. Wegen des Kostendrucks in der Landwirtschaft würden Kühe, Schweine oder Hühner kontinuierlich auf einseitige Höchstleistungen gezüchtet, heißt es in der Arbeit. Dadurch aber werde der Organismus der Tiere immer stärker belastet, seien Gesundheitsstörungen und Verhaltenseinschränkungen immer häufiger zu beobachten. Und die Haltungsbedingungen haben sich nicht verbessert, vielmehr haben wachsende Tierbestände die Lage in den Ställen verschärft. Von der Politik fordert der Autor der Studie, Bernhard Hörning, daher Tierschutzparameter für die Nutzierhaltung, das Verbot bestimmter Zuchtrassen und die Einführung von Leistungsobergrenzen.
Dem Wissenschaftler zufolge verbiete zwar das deutsche Tierschutzgesetz sogenannte Qualzuchten, da aber für die Nutztierhaltung anders als für Haustiere entsprechende Kriterien fehlen, sei der betreffende Paragraf bislang nie zur Anwednung gekommen. Den Landwirten, zumindest den konventionell arbeitenden, bleibe kaum eine andere Wahl, als sich an dem Wettrüsten im Stall zu beteiligen. Grund seien die nach wie vor fallenden Preise für Agrarprodukte, sagt der Eberswalder Wissenschaftler. Bauern hätten eigentlich nur zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: „Entweder der Landwirt hält mehr Tiere oder er steigert den Ertrag pro Tier. Nicht selten wurde beides gemacht“, so Hörning. Auch im Land Brandenburg steigt seit Jahren die Zahl der neu beantragten Tierplätze dramatisch an. Vor allem bei Legehennen und Masthähnchen sind die Zuwächse enorm. Müssen jedoch mehr Tiere bei gleichbleibenden Lohnkosten gehalten werden, würden einige Arbeitsschritte oft zwangsläufig gestrichen. So werde häufig auf das Einstreuen verzichtet und die Tiere auf sogenannten Spaltböden gehalten. Solche Bedingungen aber begünstigen laut Studie etwa bei Schweinen bakterielle Entzündungen.
Für die Studie hat Bernhard Hörning zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten ausgewertet. Die Zahlen, die er dabei als Beleg für die Leistungssteigerung anführt, sind beeindruckend. So legte der Studie zufolge etwa ein Legehuhn 1955 im Schnitt 118 Eier pro Jahr, 1980 waren es dann schon 243 Eier und 2011 sogar 298 Eier. Auch die Milchleistung wurde enorm gesteigert. 1955 etwa gab eine Milchkuh pro Jahr rund 3762 Liter Milch, 2011 waren es dagegen mehr als das Doppelte: 8173 Liter. Nahmen Mastschweine 1980 im Schnitt noch täglich 584 Gramm Gewicht zu, waren es vor zwei Jahren 780 Gramm. Sogar bis zu 1000 Gramm pro Tag sollen schon erreicht worden sein.
Milchkühe bezahlen den Zuchteifer vor allem mit Fruchtbarkeitsstörungen und Euter- und Klauenentzündungen. Zudem würden die großen Euter die Tiere beim Laufen und beim Liegen in den engen Liegeboxen behindern. Mastschweine dagegen, die nicht nur auf eine rasche Zunahme, sondern auch auf einen immer größeren Anteil von Magerfleisch getrimmt werden, leiden deshalb oft an Muskelschwund und Störungen des Herz-Kreislaufsystems. Zudem sorgt die schnelle Gewichtszunahme für schmerzhafte Gelenkprobleme. Bei Legehennen wiederrum führt die Leistungssteigerung sehr häufig zu Entzündungen der Eierleiter. Zudem werden die Knochen oft als zusätzliches Reservoir für den erhöhten Kalziumbedarf durch die Eierschalenbildung angezapft. Auch über das Futter könne der Verlust oft nicht aufgefangen werde, heißt es in der Studie. Die Folge: die sogenannte Knochenweiche. Das Risiko für Knochenbrüche etwa beim Einfangen der Tiere steigt. Alles in allem schlägt sich die gezüchtete Hochleistung in der sogenannten Nutzungsdauer oder Lebenserwartung der Tiere nieder: Bei Milchkühen etwa hat sich die Nutzungsdauer laut Hörnig in den vergangenen 40 Jahren halbiert. Legehennen überstehen im Schnitt nur noch eine Legeperiode, also rund ein Jahr. Dabei sterben rund zehn Prozent davon noch innerhalb dieses Zeitraums.
Negative Folgen hat die Massentierhaltung Experten zufolge auch für die Umwelt und den Menschen. Das Ausbringen der Gülle auf den Feldern führt zu einer Belastung des Grundwassers mit Stickstoff. Dies wiederum kann mitunter sogar ernste Folgen haben. „Bei Neugeborenen kann mit Stickstoff belastetes Wasser zur Blausucht oder Zyanose führen. Dabei verfärbt sich die Haut der Kinder blau, ein Zeichen dafür, dass ihr Blut nicht mehr genügend Sauerstoff transportieren kann“, erläutert Matthias Freude, Präsident des brandenburgischen Landesamtes für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (Lugv). In einigen Teilen Niedersachsens, das zu den deutschen Hochburgen der Massentierhaltung gehört, müsse deshalb das Trinkwasser bereits über mehrere Hundert Kilometer weit aus dem Harz herangeholt werden, so Freude.
In Brandenburg gibt es zahlreiche Bürgerinitiativen, die versuchen, geplante Großmast- oder -zuchtbetriebe in ihrer Nähe zu verhindern. Erst kürzlich wurde eine Schweinemastanlage für 36 000 Tiere trotz langjähriger Proteste genehmigt. In Steinhöfel (Oder-Spree) kämpfen Anwohner wie berichtet gegen eine Mastanlage mit Platz für knapp 450 000 Hähnchen. In Gumtow (Prignitz) stoßen Pläne für eine Anlage mit 400 000 Hühnern auf Widerstand. Insgesamt wurden in diesem Jahr vom Landesumweltamt bereits 162 000 zusätzliche Tierplätze in der Hähnchenmast genehmigt, Anträge für weitere rund 1,1 Millionen Plätze warten noch auf ihre Bearbeitung.
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