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Brandenburg: „Kriminalistische Arbeit“

Die Chefin des Landesmuseumsverbandes, Köstering, über die Suche nach Raubkunst in Brandenburg

Stand:

Frau Köstering, der Fall des Münchner Kunstsammlers Gurlitt hat das Thema Raubkunst wieder in die Schlagzeilen gebracht. Auch in Brandenburgs Museen wird nach Objekten gesucht, die während der NS-Diktatur ihren Eigentümern weggenommen wurden. In neun von 13 bislang überprüften Museen gibt es Verdachtsfälle. Um was für Gegenstände handelt es sich?

Zum einen natürlich wie erwartet um Kunst, also um Gemälde. Es ist ja vollkommen klar, dass es hauptsächlich um Dinge geht, die Wert haben. Das können aber auch Kulturgegenstände wie Möbel, Münzen, Medaillen, wertvolle Buchbestände oder historische Kartenbestände sein. Allerdings ist es in der Regel sehr viel einfacher, ein Kunstwerk zu identifizieren. Das gibt es nur einmal, aber die wertvolle Truhe, der wertvolle Schrank könnten mehrfach vorhanden sein und bei Münzen und Medaillen gilt das erst recht.

Was für Anhaltspunkte gibt es denn?

Anhaltspunkte können zum einen an das Stück selbst gekoppelt sein, das heißt zum Beispiel ein Hinweis auf eine jüdische Familie, die mal Vorbesitzer war, also ein Stempel oder eine Inschrift hinten auf dem Bild, oder ein Hinweis auf die einschlägig durch die historische Forschung bekannten Kunsthandlungen im Dritten Reich. Also wenn so eine Galerie oder ein Handel einen Stempel hinterlassen hat, ist das ein klares Verdachtsmoment. Es geht aber noch viel weiter, wenn zum Beispiel staatliche Organisationen, NS-Organisationen, Polizei, Gestapo Objekte eingeliefert haben, oder wenn das Kunstwerk auf einer Auktion erworben wurde, und das zwischen 1933 und 1945, dann ist das ein hinreichendes Verdachtsmoment. Es gibt eine ganze Menge an Indizien, die konkret, aber auch sehr allgemein sein können. Das ist fast schon kriminalistische Arbeit.

Welcher Fund hat Sie bisher am meisten überrascht?

Auf jeden Fall die Bücher aus der Bibliothek der Familie zu Lynar. Das war echt eine große Überraschung, dass in dem Heimatmuseum Müllrose da Bestände auftauchen.

Graf zu Lynar wurde als Mitwisser des Hitler-Attentats 1944 hingerichtet. Wie ist man auf die Hinterlassenschaften der Familie gestoßen?

Wir haben in Brandenburg nicht viele Museen mit Altbeständen. Erstens, weil es bis 1945 nicht so viele Museen gab, und zweitens, weil viele zum Kriegsende zerstört wurden. Die, die es gibt, haben wir flächendeckend angeschrieben und gefragt, ob sie sich einem sogenannten Erstcheck unterziehen wollen. Das Museum Müllrose hat gesagt: Ja, das machen wir. Zwei ausgewiesene Provenienzforscherinnen sind sofort auf die Stempel gestoßen in den Büchern.

Wie sind die Bücher in den Besitz des Museums gekommen?

So weit sind wir noch nicht. Aber wir vermuten, dass es so gelaufen ist: Die Familie wurde enteignet, sie hatte das Schloss in Lübbenau, sie hatte das Museum und da war auch die Bibliothek. Die Güter sind auf verschiedene Museen aufgeteilt worden und zum Teil bis nach Moskau gebracht worden. Aufgrund der Lage von Müllrose könnte es sein, dass es mit dieser Verbringung zu tun hat. Es könnte aber auch anders gelaufen sein. Die Bücher wurden wohl 1945/46 im Rathaus von Müllrose zwischengelagert.

Wie viele Objekte sind es insgesamt?

Es sind 88 Bücher und Karten, darunter sehr wertvolle, die Luther besessen hat.

Die Familie wurde bereits informiert. Gibt es Vorgaben? Was passiert mit den Sachen?

Die Bundesrepublik hat die sogenannte Washingtoner Erklärung unterzeichnet und die gilt auch für alle Kommunen. Man hat sich aus ethischen Gründen verpflichtet, für die Aufklärung von Raubgut zu sorgen und auch zu restituieren, also an die ehemaligen Besitzer beziehungsweise deren Nachfahren und Erben zurückzugeben. Das ist keine gesetzliche Pflicht, das ist eine freiwillige Verpflichtung. Das wird aber nicht infrage gestellt. Letztlich muss man sich also immer mit den Alteigentümern oder deren Vertretern einigen. Das ist dann von Fall zu Fall verschieden, ob die Objekte als Dauerleihgabe im Museum verbleiben können oder ob sie von der Familie zurückgenommen werden.

Warum wird erst jetzt in Brandenburg geforscht, rund 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und 25 Jahre nach dem Fall der Mauer?

Die Washingtoner Erklärung ist von 1998, und die Museen in Brandenburg haben ein paar Jahre später angefangen. Von daher ist das ja noch nicht so lang her. Zudem ist es für die Suche notwendig, dass die eher kleinen Museen nicht nur aufgefordert werden, Provenienzforschung zu betreiben, sondern dass sie konkrete Hilfe bekommen. Das heißt organisatorisch, mit Hilfspersonal, Provenienzforschern, die sich mit den Leitern der Museen auch hinsetzen. Nicht jedes Museum hat aus eigener Kraft dieses Personal. Dazu braucht man finanzielle Förderungen, die ja jetzt auch großzügig gegeben werden. Natürlich sollte man auch die Frage stellen, warum noch nicht vor Jahrzehnten angefangen wurde, zu forschen.

Brandenburgweit gibt es rund 400 Museen. Ist denn schon absehbar, wann alle Bestände überprüft sind?

Die meisten Museen, 300 davon, sind nach 1990 gegründet worden, es ist nicht auszuschließen, dass auch ein junges Museum ein Objekt in seine Sammlung bekommt, das zwischen 1933 und 1945 enteignet wurde oder unter unrechtmäßigen Bedingungen entwendet wurde. Aber es ist sehr unwahrscheinlich. Wir zielen also auf die Gruppe der 100 Museen ab, und davon in erster Linie auf 30 bis 40, die Altbestände haben. Und da sind wir mit bisher 25 Museen auf einem guten Wege. Im Grunde aber ist natürlich Provenienzforschung ein Dauerthema. Wenn man da richtig einsteigen will, und wirklich über seine Sammlung Bescheid wissen will, kann man endlos forschen.

Das Interview führte Matthias Matern

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