Von Alexander Fröhlich: Lebensgefahr auf Oranienburger Straßen
Stadt und Landkreis wollen Schwerlastverkehr im Zentrum einschränken, um Explosionen von Blindgängern vorzubeugen
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Oranienburg – Weil jederzeit Bomben-Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg explodieren können, greifen die Stadt Oranienburg und der Kreis Oberhavel zu drastischen Mitteln. Zentrale Bereiche der Innenstadt sollen für Busse und schwere Laster gesperrt werden, für wie lange, ist unklar. Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke (SPD) hält das für absolut notwendig, „weil hier akute Gefahr für Leib und Leben der Menschen besteht“. Oranienburg, oft „Stadt der Bomben“ genannt, befinde sich im Ausnahmezustand. „Wäre hier ein alter Truppenübungsplatz, würde man einen Sperrzaun und Schilder mit Totenkopf aufstellen, Betreten verboten, Lebensgefahr.“ Dabei leben die Oranienburger seit 20 Jahren mit dem Problem, seit der Wende wurden hier mehr als 100 Bomben entschärft, regelmäßig werden Stadtgebiete gesperrt und Tausende Einwohner evakuiert.
Doch seit Anfang Juni drei Munitionsräumer bei der Explosion eines Blindgängers in Göttingen starben, ist die Stadt zusätzlich alarmiert. Denn baugleiche Blindgänger liegen zu Hunderten in Oranienburg unter der Erde. Insgesamt mehr als 10 000 Großbomben haben die Alliierten im Zweiten Weltkrieg über Oranienburg abgeworfen, knapp die Hälfte waren mit chemischen Langzeitzündern versehen und sollten erst Tage nach dem Aufprall detonieren. Darunter waren viele Blindgänger. Wolfgang Spyra, Professor an der Technischen Universität Cottbus, geht in einem vor zwei Jahren im Auftrag des brandenburgischen Innenministeriums erstellten Gutachten von 326 „noch im Boden befindlichen Großbomben“ aus. Eine „Selbstdetonation“ hält er in naher Zukunft für wahrscheinlich, wie es seit 1990 bereits drei Mal in Oranienburg passierte.
Nun reagieren Stadt und Kreis mit einem Fahrverbot für Busse und mehr als 7,5 Tonnen schwere Laster in der besonders belasteten Innenstadt. Nächsten Mittwoch befindet der Kreistag über Maßnahmen der Busgesellschaft, die ihre Fahrpläne überarbeitet und neue Haltestellen sucht. Denn auch der Bahnhof ist betroffen, ebenso die Bundesstraßen B 96 und B 273, beide führen zentral durch die Stadt. Landrat Karl-Heinz Schröter (SPD) spricht von „Gefahrenabwehr“. „Die Zünder sind ausgesprochen sensibel.“ Jede größere Erschütterung könne zur Selbstdetonation führen. Bürgermeister Laesicke rechnet damit, dass Bürger und Wirtschaft durch die Maßnahme schwer beeinträchtigt werden. „Für unsere Firmen wird das nicht leicht.“
Zudem befasst sich der Kreistag mit knapp elf Millionen Euro, damit sollen in den nächsten drei Jahren Kreis-Flächen in Oranienburg nach Bomben abgesucht werden. Gutachter Spyra rechnet langfristig mit Kosten von 420 Millionen Euro.
Das Fahrverbot ist auch ein Signal nach Potsdam. Denn Schröter und Laesicke sehen wegen der enormen Last das Land in Pflicht, die Stadt fühlt sich überfordert. Beide liegen mit dem Innenministerium seit Wochen im Clinch, weil in diesem Jahr nur 6,5 Millionen Euro für die Kampfmittelräumung in Brandenburg vorgesehen waren, ein Teil steht unter Haushaltssperre, der Rest ist fast ausgegeben. Allein 2,7 Millionen Euro gingen nach Oranienburg, seit 1996 immerhin schon 55 Millionen Euro, ein Drittel aller Räumungskosten im Land. Doch der frühere Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) hatte 2009 eine Aufstockung des Etats auf 25 Millionen Euro ins Gespräch gebracht. Darauf hatten sich die Stadtoberen verlassen, weshalb die CDU im Landtag am heutigen Freitag Innenminister Rainer Speer (SPD) mit einem Antrag unter Druck setzen wollte. Aber Speer nahm vorab Luft raus und gab 2,5 Millionen zusätzlich frei. Sollte das nicht reichen, will Speer beim Finanzministerium noch mehr locker machen.
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