Brandenburg: Letzte Ausfahrt Brandenburg
Die Mark wird immer mehr zum idealen Therapiezentrum für gestrauchelte Großstadtkinder
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Pinnow/Liepe - Die brandenburgischen Weiten werden immer mehr zur gut von Großstadteinflüssen abgeschirmten Sozialstation für straffällig gewordene oder schwerst abhängige Kinder und Jugendliche aus Berlin. Neben den bereits bestehenden Jugendhilfe- und Therapieeinrichtungen soll voraussichtlich noch in diesem Jahr in der Mark ein Heim für kriminelle Kinder im Alter von unter 14 Jahren eingerichtet werden. So plant der soziale Träger EJF-Lazarus eine neuartige „verbindliche Einrichtung“ für Kinder, derer die Justiz wegen ihrer Strafunmündigkeit (unter 14 Jahre) derzeit nicht richtig habhaft werden kann. Nach Auskunft des EJF-Vorstandvorsitzenden Siegfried Dreusicke könne in einer solchen Einrichtung eine strenge Hausordnung gelten, nach der es Stubenarrest geben und „auch mal eine Tür abgeschlossen werden kann“.
Geplant seien derzeit Plätze für sechs Kinder, etwa in einer speziellen Station in einer Kindereinrichtung – in einiger Entfernung von Berlin, in möglichst unbesiedeltem Gelände, um die Kinder von dem schlechten Einfluss ihrer Familien oder von ihren kriminellen Freunden abzuschirmen.
Ein geschlossenes Heim oder einen „Kinderknast wie in Hamburg“ habe er aber keinesfalls vor Augen, sagte Dreusicke. Bei der dafür zuständigen Berliner Jugendverwaltung hieß es dazu, Senator Jürgen Zöllner habe seinem Haus vor einer Woche den Auftrag erteilt, verschiedene intensive Therapien für Kinder und Jugendliche zu prüfen, man werde das Ergebnis abwarten.
In den vergangenen Tagen hatte es immer wieder Diskussionen über neuartige Einrichtungen oder auch geschlossene Einrichtungen gegeben, nachdem es Schwierigkeiten bei Unterbringung von und im Umgang mit dem 13-jährigen kriminellen Adnan aus Berlin in Brandenburg gegeben hatte.
Unterdessen besichtige Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) gestern auch ein in Brandenburg einzigartiges Modellprojekt für zu langen Haftstrafen verurteilte junge Straftäter. Diese verbringen die letzten sechs bis 12 Monate ihrer Haftstrafe auf einem Gutshofprojekt in dem kleinen Ort Liepe (Barnim). Sie dürfen das Gelände nicht verlassen, arbeiten aber selbstständig in mehreren Gewerken, haben etwa Kontakt zu Besuchern der Gastronomie auf dem Gelände – und sollen vor allem das selbstständige Leben ohne die Reglementierungen hinter Gittern erlernen.Eine ähnliche Art des offenen Vollzugs wird bislang nur in Baden-Württemberg praktiziert.
Zuvor war hatte von der Aue gestern eine Wohngruppe des EJF-Lazarus für delinquente Mädchen aus Berlin im uckermärkischen Pinnow eröffnet. Die acht Plätze in der Einrichtung „Arche“ sind vornehmlich zur Vermeidung von Untersuchungshaft für Mädchen und junge Frauen im Alter von 14 bis 17 Jahren aus Berlin vorgesehen. Es sei sehr wichtig, dass die Jugendlichen, die Gruppenstraftaten verübten, aus ihren bisherigen sozialen Verhältnissen geholt und in innenstadtfernen Einrichtungen untergebracht würden, betonte die Senatorin.
Gefördert wird das Projekt durch die Deutsche Klassenlotterie Berlin sowie durch das Land Brandenburg. Mit der neuen offenen Einrichtung erweitere EJF-Lazarus sein Angebot der verbindlichen Unterbringung für jugendliche Straftäter, betonte Dreusicke. Sie werden in die Einrichtung auf richterlichen Beschluss eingewiesen, um sie vor der sonst notwendigen Untersuchungshaft zu bewahren. Nachdrücklich wies Dreusicke darauf hin, dass in die Einrichtung keine Jugendlichen aufgenommen würden, die sich sexuelle Delikte oder gewalttätige Übergriffe auf Kinder zu schulden kommen ließen.
Unter dem Motto „Menschen statt Mauern“ betreibt die EJF-Lazarus Gesellschaft bereits im uckermärkischen Frostenwalde sowie im thüringischen Röttersdorf stadtferne offene pädagogische Einrichtungen für straffällige Jugendliche. Die Betreuer bereiten die Jugendlichen auf ihre Gerichtsverhandlung vor und erarbeiten mit ihnen Konzepte für ein straffreies Leben. Jeder Jugendliche hat während seines Aufenthaltes seinen persönlichen Bezugsbetreuer. Acht der insgesamt 32 Plätze in Frostenwalde sind für jugendliche Straftäter aus Berlin vorgesehen.
Nach Lazarus-Angaben kostete die Schaffung der Plätze für die Mädchen in Pinnow rund 700 000 Euro. Straffällige Jugendliche werden in die Einrichtung nach richterlichem Beschluss eingewiesen, um sie vor drohender Untersuchungshaft zu bewahren. (mit dpa/ddp)
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