Brandenburg: „Mal mehr tun als die Pflicht“
Humanitärer Vorstoß im Landtag: Grüne und CDU wollen 500 jesidische Frauen und Kinder retten – und nach Brandenburg holen
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Potsdam - „Darf ich noch etwas ergänzen?“ So wandte sich CDU-Landtagsvizepräsident Dieter Dombrowski, die gemeinsame Pressekonferenz mit dem Grünen-Fraktionschef Axel Vogel im Landtag am Dienstag war schon fast vorbei, noch einmal eindringlich an die Journalisten: „Bitte, berichten Sie über das Schicksal der Jesiden!“ Also über jene von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ bekämpfte religiöse Minderheit, die nur aus 600 000 Menschen bestehe, aber über 5000 Jahre alt und damit eine der ältesten der Menschheit sei. „Allein schon das wäre ein Grund, diese Menschen unter den Schutz der Weltgemeinschaft zu stellen.“ Man müsse etwas gegen diesen Genozid tun. „Es ist ein Stück Weltkulturerbe und ein Stück Freiheit der Welt, das wir hiermit verteidigen.“ Es waren Worte, wie sie in dem Raum selten zu hören sind.
Vorher hatten Grüne und CDU ihren ungewöhnlichen humanitären Vorstoß vorgestellt. Für die Landtagssitzung diese Woche haben sie einen gemeinsamen Antrag eingebracht, dass Brandenburg über ein Sonderkontingent 500 besonders schutzwürdige Frauen und Kinder aufnimmt, Jesiden, die in Flüchtlingslagern im Nordirak leben, aber nach Brandenburg ausgeflogen werden könnten. Die Initiative kommt von den Grünen, die CDU-Fraktion hat einstimmig zugestimmt. Es gebe die Möglichkeit, in Abstimmung mit dem Bund eine „Landesaufnahmeanordnung“ zu erlassen, sagte Vogel. Er verwies darauf, dass es in Brandenburg aktuell ohnehin einen Leerstand in Flüchtlingsheimen gebe, was Kreise und Kommunen und auch den Landeshaushalt finanziell belaste. Vorbild ist nach Worten Vogels das Land Baden-Württemberg, das 2015 kurzfristig 1000 jesidische Frauen, vom IS verfolgt, vergewaltigt und zumeist traumatisiert, in einer humanitären Aktion aus dem Nordirak hatte ausfliegen lassen und aufgenommen hatte. Und zwar zusätzlich zu den Flüchtlingen, die in Deutschland sind und über die Bundesländer verteilt werden. Baden-Württemberg sei bereit, Brandenburg zu helfen, sagte Dombrowski. „Die wissen, wie es geht. Ein Anruf in der Staatskanzlei genügt.“ Vogel verwies darauf, dass „derzeit noch über 1600 alleinstehende Frauen und Kinder in den Flüchtlingslagern im Nordirak leben.“ Der Bedarf bestehe, sagte Vogel. Man habe bereits versucht, die Regierungsfraktionen SPD und Linke für den Antrag zu gewinnen. Wie die Koalition damit umgehe, sei aber noch offen. Er rechne mit einem Entschließungsantrag. Er sei aber zuversichtlich, dass der Antrag „nicht wirkungslos verpuffen wird“, der am Freitag im Landtag zur Abstimmung steht. Es gehe um lebenserhaltende Maßnahmen, so Dombrowski. Dass er sich in seiner Fraktion für den Antrag starkmachte, hat auch mit persönlichen Erfahrungen zu tun. Er hatte sich 2015 vor Ort im Nordirak selbst ein Bild von der Lage der Jesiden gemacht, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Menschenrechtszentrums Cottbus, das auch in der Flüchtlingshilfe engagiert ist. „Ich habe eine Frau kennengelernt, die sieben Mal verkauft wurde. Ich habe ein 15-jähriges Mädchen kennengelernt, das mehrfach vergewaltigt worden war“, schilderte er. Brandenburg sei doch ein gut situiertes Land. „Und die großen Dinge in der Welt geschehen doch immer nur dann, wenn einige mehr tun als nur ihre Pflicht.“
nbsp;Thorsten Metzner
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