Brandenburg: Massen-Mathe-Schwindel Schulsenator spricht von „gewaltigem Ausmaß“
Alle suchen jetzt das Leck – auch der Staatsanwalt
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Berlin - Der Schwindel bei den Mathematikprüfungen zum mittleren Schulabschluss in Berlin war offenbar weitverbreitet. Das geht aus Äußerungen von Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD) hervor. Zöllner sprach im Abgeordnetenhaus von einem „gewaltigen Ausmaß“. Zahlen konnte gestern aber niemand nennen. „Wir haben jetzt andere Prioritäten, als Zahlen bei den Schulen abzufragen“, sagte der Sprecher der Schulverwaltung, Kenneth Frisse. „Wir müssen unbedingt das Leck finden und eine neue Prüfung organisieren.“ Die Wiederholung der Klausur hält die Schulverwaltung für den einzigen Ausweg. Nur so lasse sich eine faire Behandlung aller Schüler gewährleisten.
Am Mittwoch war während der laufenden Prüfungen bekannt geworden, dass Jugendliche von fast einem Dutzend Schulen vorab in den Besitz der Aufgaben gekommen waren. Nach Angaben der Schulverwaltung gibt es keine Schwerpunkte in bestimmten Bezirken. Schüler teilten der Bildungsverwaltung gestern per Mail mit, dass die Prüfungsaufgabe sogar im Internet abrufbar war.
Die Schülerstimmen im Internet gehen davon aus, dass auch in anderen Fächern gemogelt wurde: „Ich weiss, dass auf meiner Schule auch in Englisch und Deutsch gespickt wurde“, schreibt eine „Anna“, und ein anonymer Beitrag beschuldigt den Senat: „Der Senat ist selber schuld, wieso haben sie sowas verkauft und nun regen sie sich angeblich darüber auf.“
Die Prüfungen sollen nun am 23. Juni wiederholt werden. Betroffen sind rund 28 000 Berliner Schüler an 346 Schulen. Wie es zu der Panne kommen konnte, ist noch nicht bekannt. Es kursierten aber Spekulationen. Pit Rulff vom Verband der Schulleitungen an Berufsbildenden Schulen hatte aus drei verschiedenen Quellen gehört, dass das Leck bei der Bundesdruckerei liege. „Eventuell hat ein Drucker dort ein Kind im MSA-Bereich“, mutmaßte Rulff. Dass die Aufgaben überhaupt bei der Bundesdruckerei gefertigt werden, wollte die Schulverwaltung nicht bestätigen; mehrere Lehrer bestätigten es aber.
Christoph Walter vom Bezirksschülerausschuss Reinickendorf wiederum hatte gehört, ein Lehrer am Bettina-von-Arnim-Gymnasium habe die Aufgabe am Kopierer liegen lassen, wo ein Schüler sie mit dem Handy fotografiert habe. Das dürfte nach normalen Maßstäben gar nicht möglich sein, da die Aufgaben bis unmittelbar vor der Prüfung im Tresor zu lagern sind. Schüler-Sprecher Walter sagte, die Pakete mit den Aufgaben seien allerdings so groß, dass sie nicht überall in den Tresor passen. Sie würden dann eben woanders gelagert.
Debatten kreisten gestern auch um die Frage, was schlimmer ist: 28 000 zumeist unschuldige Schüler mit einer neuen Klausur zu strafen oder eine unbekannte Zahl von Schummlern zu belohnen, indem die Klausur nicht wiederholt wird. Landeselternsprecher André Schindler will genau das erreichen, notfalls mit einer Klage. Er erhob Vorwürfe gegen die Bildungsverwaltung. „Die für die Panne verantwortlichen Personen müssen aus dem Schuldienst entfernt werden“, forderte Schindler. „Wir schließen nicht aus, dass die undichte Stelle im Bereich der Lehrer oder Schulleiter zu suchen ist.“ Es sei bekannt, dass es in Berlin Kollegen gebe, die gern mal Aufgaben vorab bekannt gäben, um der Obrigkeit eins auszuwischen. Dafür könne man nicht die Schüler bestrafen.
Die Schulverwaltung will erst Konsequenzen ziehen, wenn die undichte Stelle gefunden ist. Die Bildungsverwaltung hat inzwischen Strafanzeige erstattet. „Als Straftaten kommen die Verletzung von Dienstgeheimnissen, die Verletzung des Postgeheimnisses und auch Diebstahl in Betracht“, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Michael Grunwald. Das hänge zum Beispiel davon ab, ob die Infos durch jemanden verbreitet wurden, dem sie „dienstlich anvertraut“ waren. Falls ein Schüler etwa im Sekretariat einen Umschlag geöffnet hat, so könnte er das Postgeheimnis verletzt haben; hat er das Material sogar mitgenommen, kommt Diebstahl infrage. Fatina Keilani
Fatina Keilani
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