Brandenburg: Mehr Fälle von Gewalt gegen Kinder
Zahl der Prüfverfahren bei Brandenburgs Jugendämtern stieg um 29 Prozent
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Potsdam - Die Zahl der Verdachtsfälle von Kindeswohlgefährdung im Land Brandenburg hat sich deutlich erhöht. Insgesamt seien im vergangenen Jahr landesweit für 6258 Kinder und Jugendliche entsprechende Verfahren eingeleitet worden, teilte das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg am Dienstag mit. Gegenüber dem Vorjahr sei dies eine Zunahme von mehr als 29 Prozent. Im Jahr 2013 wurden noch insgesamt 4840 Verfahren registriert. In der Regel liegt einem solchen Verfahren eine entsprechende Meldung wegen vermuteter Kindeswohlgefährdung durch eine Schule, eine Kita oder einen Arzt zugrunde.
Deutlich gestiegen ist auch die Zahl der Fälle, bei denen eine akute Kindeswohlgefährdung festgestellt wurde. Einen Zuwachs gab es vor allem bei körperlichen Misshandlungen und der Vernachlässigung. Der Statistik zufolge wurde im vergangenen Jahr von den Jugendämtern bei 678 Kindern eine Vernachlässigung festgestellt. 2013 waren es 548. Bei körperlicher Misshandlung stiegen die Fallzahlen von 155 auf 229. Einen Anstieg gab es auch bei den psychischen Misshandlungen und den Fällen sexueller Gewalt. Demnach kamen die Jugendämter 2014 in 195 Fällen zum Ergebnis, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen Opfer psychischer Misshandlungen waren. Im Vorjahr lag die Zahl bei 157. Die Zahl festgestellter sexueller Gewalt stieg um drei Fälle auf 44. In 31 davon waren Mädchen und junge Frauen betroffen, in zwei Fällen Ein- bis Dreijährige.
Zumindest teilweise erklären lässt sich der enorme Anstieg nach Einschätzung der Statistiker möglicherweise mit der vergleichsweise jungen Geschichte der Erhebung. „Die Statistik läuft erst zum dritten Mal und wenn so eine Erhebung eingeführt wird, gibt es bei der Erfassung immer leichte Startschwierigkeiten“, sagte Statistikamtssprecherin Anett Kusche den PNN. Besonders das erste Jahr sei immer etwas mit Vorsicht zu genießen, weil vielleicht noch nicht alle Stellen ihre Fälle vollständig gemeldet hätten. Ausschließlich aber könne der jüngste Anstieg damit nicht erklärt werden. „Es gibt sicherlich auch einfach mehr Fälle“, so Kusche.
Unterschieden wird bei der Erfassung zwischen der festgestellten akuten und der latenten Kindeswohlgefährdung. Während bei der akuten Gefährdung eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls bereits eingetreten ist oder mit Sicherheit erwartet wird, besteht bei der latenten Gefährdung zunächst nur der Verdacht der Kindeswohlgefährdung. Auch hier haben die Fallzahlen von 778 auf 1145 stark zugenommen.
Das brandenburgische Jugendministerium wertet die gestiegene Zahl an Verfahren vor allem als Beleg für einen mittlerweile verbesserten Umgang der Jugendämter mit dem Thema. „Die Verfahren zur Gefährdungseinschätzung sind in den Jugendämtern in den letzten Jahren immer weiterentwickelt worden und werden immer häufiger durchgeführt“, hieß es auf PNN-Nachfrage. Zudem seien Klarheit und Sicherheit über die Auswahl des zu erfassenden Erhebungsmerkmals seit Einführung der Erfassung im Zuge des Inkrafttretens des Bundeskinderschutzgesetzes im Jahr 2012 gewachsen und dies habe wiederum Einfluss auf die Zahlen.
Dass mittlerweile bei Verdachtsfällen von Kindeswohlgefährdung genauer hingeguckt und Familien entsprechend Hilfe zuteil werde, findet Robert Müller, stellvertretender Leiter des Sozial-Therapeutischen Instituts Berlin-Brandenburg (Stibb) in Kleinmachnow, zwar grundsätzlich gut. „Die Frage ist aber: Reichen die finanziellen und personellen Mittel der Jugendhilfe aus, um die notwendige Unterstützung auch anbieten zu können?“ Nach PNN-Informationen arbeiten Mitarbeiter der Jugendämter teilweise an der Belastungsgrenze. Die nun vorliegenden Zahlen würden zeigen, dass auf politischer Ebene die zur Verfügung stehenden Finanzen nachgebessert werden müssten, so Müller. Matthias Matern
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