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Brandenburg: Mehrwertsteuer für das Haushaltsloch

Brandenburg rechnet mit zusätzlich 360 Millionen Euro jährlich / In Berlin freut sich nur der Finanzsenator

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Potsdam - Im Land Brandenburg kann die umstrittene Erhöhung der Mehrwertsteuer nach ersten Schätzungen jährlich bis zu 360 Millionen Euro in die Landeskasse spülen. Deshalb verwundert es nicht, dass die Potsdamer SPD-CDU-Regierungskoalition so erfreut auf den Berliner Koalitionsvertrag reagiert, den Ministerpräsident Matthias Platzeck – der heute zum neuen SPD-Bundesvorsitzenden gewählt werden soll – maßgeblich mitverantwortet.

Allerdings warnt Finanzminister Rainer Speer (SPD), dass das „Geld vorrangig zur Konsolidierung des Haushaltes verwendet werden muss“. Tatsächlich gibt Brandenburg bislang Jahr für Jahr mehr aus als es einnimmt – und schließt die Lücke durch neue Kredite. In diesem Jahr sind es 971 Millionen Euro. Der Schuldenberg des Landes ist auf 17 Milliarden Euro gewachsen. Nach dem bisherigen Spar-Fahrplan der Großen Koalition, die erst ab dem Jahr 2010 keine neuen Schulden mehr machen will, würde es bis zu einem schuldenfreien Land nach Berechnungen Speers rund 250 Jahre dauern.

Welche Auswirkungen die Mehrwertsteuer–Erhöhung auf die labile märkische Wirtschaft hat, ist unklar. Angesichts des Nullwachstums im Land hatte CDU-Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns noch letzte Woche vor einem Paket aus Mehrwertsteuer und „Reichensteuer“ gewarnt. Auch Platzeck lehnte im Bundestagswahlkampf eine Mehrwertsteuer-Erhöhung in der jetzigen konjunkturellen Situation noch kategorisch ab.

Andererseits weist CDU-Generalsekretär Sven Petke darauf hin, dass mit dem Flughafen Berlin-Brandenburg International das wichtigste Wirtschafts- und Infrastrukturprojekt der Region im Koalitionsvertrag verankert, die Finanzierung der Schienen- und Straßenanbindung gesichert ist.

Auch die beschlossene Abschaffung der Eigenheimzulage wird von der Regierung begrüßt. Es ist seit längerem eine Forderung Brandenburgs, so das Infrastrukturministerium. Der Häusleboom sei ohnehin vorbei, Neubau-Bedarf angesichts der demografischen Probleme und des wachsenden Leerstandes nicht mehr da. Jährlich entstehen im Land rund 9000 Ein- und Zweifamilienhäuser, Tendenz sinkend.

Hart trifft es die 150 000 Brandenburger Pendler nach Berlin, die von der Kürzung der Pendlerpauschale betroffen sind - die wird künftig erst ab dem 20 Fahrkilometer gezahlt. Zwar trifft diese Reduzierung nach Auffassung von SPD-Fraktionschef Günter Baaske die „Brandenburger geringer“, weil sie meist längere Strecken zurücklegen. „Das ist für Brandenburg noch verträglich“, so Baaske.

Doch Experten sehen die drohenden Folgen zwiespältiger. So rechnet Hans Joachim Kujath, vom Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner zwar auch nicht mit kurzfristigen Auswirkungen auf die Pendlerströme, etwa einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, weil man die Jobs in Berlin aufgibt. „Doch langfristig können die Wirkungen für die berlinfernen Regionen problematisch sein, wenn das Pendeln unattraktiver gemacht wird.“ Schon jetzt sei die Abwanderung hoch, das Immobilienpreisniveau dort gering. Einig sind sich Experten wie Kujath oder auch Robert Vehrkamp von der Bertelsmann-Stiftung darin, dass Brandenburg jetzt erst recht den Kurs auf „Konzentration“ seiner Strukturen „konsequent fortsetzen muss“.

Brandenburgs Staatskanzleichef Clemens Appel, früher Staatssekretär im Bauministerium, sagte gestern den PNN, die Abschaffung der Eigenheimzulage sei überfällig. „Das war staatliche Förderung von Stadtflucht zu Lasten der Innenstädte“. Die Eigenheimpauschale habe oft zu reinen Mitnahmeeffekten bei den Bauherren geführt, die ihre Eigenheime meist auch so gebaut hätten.

Der Wegfall der Eigenheimzulage und die Kürzung der Pendlerpauschale werden auch nach Auffassung von Immobilienmarkt-Experten auf dem Grundstücksmarkt in Berlin und Brandenburg preisdrückend wirken. Dieter Blümmel, Sprecher des Eigentümerverbandes Haus&Grund Berlin, ist davon überzeugt, dass bisher „die Förderung in den Kaufpreisen eingerechnet ist“. Die Folge: Fällt die Eigenheimzulage weg, dann werden die Kaufpreise sinken. „Die Eigenheimpreise im Umland könnten sinken“, sagt auch Wolfgang Bohleber, vom Verband Berlin-Brandenburger Wohnungsunternehmen. Eine neue Stadtflucht aus Berlin ins brandenburgische Umland ist deshalb nicht zu erwarten: Schlechtere Kultur- und Einkaufsangebote im Umland und lange Fahrtzeiten ins Zentrum locken schon heute einst Fortgezogene zurück.

Einzelhandel und das Handwerk dagegen laufen Sturm gegen eine höhere Mehrwertsteuer. „Das ist eine Konjunkturbremse erster Güte“, sagte Nils Busch-Petersen, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Berlin-Brandenburg. Die Anhebung auf 19 Prozent treffe alle gleichermaßen. Drei Prozent mehr ließen sich in der Kalkulation nicht wegdrücken. „Die Preise werden steigen.“

Auch Handwerksleistungen werden teurer, sagte Wolfgang Rink, Sprecher der Berliner Handwerkskammer voraus. „Die Betriebe stehen eh“ schon mit dem Rücken zur Wand.“ Zwar sei es gut und richtig, dass private Haushalte künftig Handwerkerleistungen von der Steuer absetzen könnten. Aber dieser Vorteil werde durch die Mehrwertsteueranhebung konterkariert. „Das ist Gift für den Binnenmarkt; alles kostet mehr.“

Das meint auch Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei). Möglicherweise werde es im dritten und vierten Quartal 2006 einen Boom bei teuren Konsumgütern geben. Aber greife die höhere Mehrwertsteuer, „wird die Nachfrage einbrechen“, sagte Wolfs Sprecher Christoph Lang. Der Deutsche Gewerkschaftsbund Berlin-Brandenburg protestiert ebenfalls. Für den DGB ist die höhere Mehrwertsteuer „Gift für das Sozialsystem“.

Im rot-rot-regierten Berlin freut sich nur Finanzsenator Thilo Sarrazin über den warmen Regen aus der Mehrwertsteuererhöhung. Er kann, wie sein Brandenburger Kollege Rainer Speer, ab 2007 mit Mehreinnahmen von über 300 Millionen Euro pro Jahr rechnen. (mit ball/sib/za)

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