Brandenburg: Mit Bolzenschneider gegen teure Energie Wittstock liegt mit seinem Fernwärmeversorger
im Clinch. Rathauschef knackte Türschloss
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Wittstock - Nach wochenlangem Bitten war Jörg Gehrmann am vergangenen Montag mit seiner Geduld am Ende: Um Punkt zwölf Uhr mittags setzte der parteilose Bürgermeister der Stadt Wittstock (Ostprignitz-Ruppin) den Bolzenschneider an und verschaffte sich Zutritt. Seit Mitte Juli habe er vergeblich versucht die Schlüssel für das sogenannte Heizhaus, das eigentlich der Stadt gehöre, wiederzubekommen, sagt Gehrmann. Am 8. August sei die letzte Frist abgelaufen. „RWE hat uns nur lapidar mitgeteilt, Energicos weigere sich auch ihnen den Schlüssel zu geben“, so der Bürgermeister. Doch für einen Teil seiner Bürger gehe es schließlich um eine Kostenersparnis von bis zu 130 Euro pro Megawattstunde. „Wenn man da nicht mal den Bolzenschneider ansetzt, wann dann?“
Hintergrund für das rabiate Vorgehen des Wittstocker Ratshauschefs ist der Wunsch der Stadt, nach 20 Jahren den Fernwärmevertrag mit dem Energiekonzern RWE fristgemäß aufzulösen und die Versorgung von 545 Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft in die eigene Hand zu nehmen. Gehrmann zufolge bezieht RWE wiederum die Wärme von der Berliner Firma Energicos. „Wir haben damals, in der Hoffnung, etwas Positives beim Preis herausholen zu können, RWE das Heizhaus zur kostenlosen Nutzung überlassen“, erzählt der Wittstocker Bürgermeister. Diese Hoffnung habe sich aber nicht nur nicht erfüllt, sondern das Gegenteil sei eingetreten. „Der Preis hat sich verdoppelt und liegt jetzt teilweise bei bis zu 190 Euro pro Megawattstunde. Der Landesschnitt beträgt 111 Euro.“
Um aus dem Knebelvertrag – wie ihn Gehrmann nennt – herauszukommen, muss die Versorgung durch Energicos der Stadt zufolge bis spätestens Mitternacht 30. August gekappt werden und das gehe nur im Heizhaus. Werde die Versorgung nicht gekappt, verlängere sich der Vertrag automatisch. Künftig will Gehrmann die Fernwärmeversorgung über eine eigene Anlage gwährleisten. Die stehe bereits in einem eigenen Container, versichert der Rathauschef.
Energicos-Sprecher Roland Greifeld wirft der Stadt Wittstock Wild-West-Manieren und Hausfriedensbruch vor. Medienberichten zufolge will die Firma juristisch gegen Gehrmann vorgehen. Zudem bestreitet das Unternehmen angeblich, dass das Heizhaus der Stadt gehöre und Energicos die Schlüssel unrechtmäßig zurückhalte. Aufgrund der Nutzungsverträge sei man Hausherr, heißt es. Für eine weitere Stellungnahme war das Unternehmen am Mittwoch nicht zu erreichen.
Gehrmann spricht von einem „Stück aus dem Tollhaus“, fühlt sich indes auf der sicheren Seite. Sein Vorgehen sei durch eine Einstweilige Verfügung abgesichert. Ohnehin sieht er vor allem RWE in der Pflicht. „Energicos ist überhaupt nicht unser Vertragspartner, sondern RWE.“ Zugute hält der Wittstocker Bürgermeister dem Konzern, dass sich dieser vermutlich ebenfalls verwundert die Augen reibt. „Hätten die gewusst, was für einen Vertragspartner sie sich da ausgesucht haben, glaube ich, hätten sie den Vertrag niemals geschlossen“, so Gehrmann. Verwunderlich sei nur, dass sich der Konzern offenbar gegen Energicos rechtlich nicht durchsetzen könne.
Auch vom RWE-Konzern war am Mittwoch zu dem Thema keine Stellungnahme zu bekommen. Matthias Matern
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