Von Matthias Matern: Mit Steinwürfen verjagt
In Milmersdorf bedroht ein wütender Mob minderjährige Zirkuskinder. Kriminalpolizei ermittelt
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Milmersdorf - Steine wurden geworfen, Kinder bedroht und zusammen mit ihren Eltern unter Beschimpfungen vertrieben – was als Abend mit Tricks und Artistik geplant war, endete in Gewalt. Ziel der Attacken waren vier Kinder im Alter von 16, 14, 11 und acht Jahren eines kleinen Familienzirkus, die sich am Nachmittag des 24. September auf ihren einzigen Auftritt im uckermärkischen Milmersdorf vorbereiteten, als sich der Unmut einiger Anwohner über freilaufende Hunde und eine Pony-Koppel entlud. „Abends eskalierte die Lage. Die Wohnwagen wurden mit Steinen beworfen“, bestätigt Sandra Urland, Polizeisprecherin des Schutzbereichs Uckermark. Die Kriminalpolizei ermittle gegen mehrere Anwohner wegen „Beleidigung, Bedrohung und versuchter Körperverletzung“.
Medienberichten zufolge soll es sich bei den bedrohten Minderjährigen um die Kinder der Betreiber eines kleinen Wanderzirkus mit dem Namen „Circus Happy“ handeln. Zum Zeitpunkt, als sich die Situation zuspitzte, sollen die Eltern gerade in Berlin im Stau gestanden haben. Für eine Stellungsnahme war die Familie bis Redaktionsschluss nicht zu erreichen.
Laut Berichten sollen die Angreifer die Kinder zudem beschimpft haben. „Zigeunerpack! Asoziales Pack verschwindet! Wir fackeln euch die Zelte ab!“ sollen sie gerufen haben. Aus „ermittlungstaktischen Gründen“ will die Polizei keine Angaben zu den angezeigten Beschimpfungen machen. Beteiligt gewesen seien ausschließlich Jugendliche und Erwachsene aus Milmersdorf. Die Personalien mehrerer Tatverdächtiger seien aufgenommen worden. Festnahmen habe es nicht gegeben. Anzeichen rechtsextremer Gesinnung habe man nicht feststellen können.
Anderthalb Wochen nach dem Vorfall sucht Bürgermeister Klaus-Christian Arndt (SPD) nach einer Erklärung. Er spricht von „Arbeitslosigkeit“, „sozialen Spannungen“ und einer gefühlten Ungerechtigkeit bei einigen Milmersdorfern. „Wir haben gerade einen neuen Sportplatz gebaut. Dort dürfen Hunde nicht mehr unangeleint rumlaufen“, berichtet Arndt. Dem Zirkus habe er einen Platz in direkter Nachbarschaft zugewiesen, da es dort einen Stromanschluss gebe. Am Nachmittag des 24. Septembers hätten sich dann einige „junge Mütter“ bei ihm beschwert, dass der Zirkus Hunde frei herumlaufen lasse, der Elektrozaun für die Pony-Koppel außerdem zu dicht am Gehweg entlang führe. „Sie sagten, sie hätten Angst um ihre Kinder, die versuchen würden durch den Zaun zu steigen, um die Ponys zu streicheln“, berichtet Arndt.
„Ich bin dann zum Gelände, um mit den Zirkus-Verantwortlichen zu sprechen“, erinnert sich der Verwaltungschef. Vor Ort seien jedoch nur die vier Kinder gewesen, die gerade ihren Eltern per Telefon von der Auseinandersetzung berichtet hätten. „Als ich kam, liefen keine Hunde mehr frei herum“, berichtet Arndt. Auch er habe dann mit den Eltern gesprochen, die Mutter habe zugesagt, den Elektrozaun etwas versetzen zu lassen, erzählt Klaus-Christian Arndt. Somit sei für ihn das Problem gelöst gewesen. „Insgesamt war ich ungefähr eine dreiviertel Stunde da.“ Laut Sprecherin Urland wurde die Polizei kurz vor 18 Uhr von Verantwortlichen des Zirkus gerufen. Beim Eintreffen der Beamten gegen 18.30 Uhr sei die Lage „ruhig“ gewesen.
Noch am Abend entschloss sich die Zirkusfamilie zum sofortigen Aufbruch. Unter Polizeischutz wurden die Zelte abgebaut. „Gegen 21.30 Uhr rief mich ein Gemeindemitarbeiter an und erzählte mir, dass er dem Zirkus beim Packen helfe und die Polizei da sei“, berichtet Bürgermeister Arndt. Hingefahren sei er nicht mehr. „Ich versuche gerade Kontakt aufzunehmen, um mich im Namen der Gemeinde zu entschuldigen.“
Im Amt Gerswalde, zu dem Milmersdorf gehört, geht man nicht so offen mit dem Geschehenen um. Medienberichten zufolge soll sich zwar der Anfang Oktober aus dem Amt geschiedene Amtsdirektor Bernd Brandenburg bei der Familie entschuldigt haben. Doch seitdem herrscht ein Schweigegebot: „Wir geben keine Presseauskünfte“, sagt die stellvertretende Amtsdirektorin Sabine Stege. „Zum gegebenen Zeitpunkt“ werde es eine „gemeinsame Erklärung“ geben. Darüber habe sich ein „Gremium“ verständigt. Wann das sein werde und wer in dem Gremium sitze? „Wir geben keine Presseauskünfte“, wiederholt Stege.
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