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Von Marion van der Kraats: Mörder entflieht dem Haftalltag ins Reich der Farbe
Sein Leben spielt sich hinter Mauern ab. Die Regeln anderer bestimmen den Alltag – doch mit dem Pinsel in der Hand wird dies nebensächlich. Jetzt versteigert der Häftling Herbert Lieberam ein Bild auf dem Osterbasar der JVA Brandenburg/Havel
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Brandenburg/Havel - Sein Reich ist lichtdurchflutet. Bilder wohin man sieht. Große, kleinere, knallbunte mit unzähligen Details. Daneben Stillleben und Skulpturen. Eine Oase im Gefängnis, Lebensinhalt von Häftling Herbert Lieberam. „Ich träume in Farben. Morgens wenn ich aufwache, denke ich zuerst ans Malen. Und abends ist es das Letzte, woran ich denke“, sagt der 58-Jährige und strahlt. Sein aktuelles Bild spricht eine andere Sprache: Trotz satter Farben zeugt es von Vergänglichkeit und Tod. „Ich bin seit über 16 Jahren hier, da merkt man wie einem die Zeit davon läuft“, sagt Lieberam.
Rund 400 Ölbilder und Aquarelle hat Lieberam bis jetzt gemalt und eines seiner Werke kann nun ersteigert werden. Gegen das höchste Gebot soll es bei der ersten Kunstaktion des Justizministeriums im Rahmen des diesjährigen Osterbasars am 8. April dem neuen Besitzer überreicht werden. Den Erlös will Lieberam, in der Vollzugsanstalt Brandenburg/Havel „Picasso“ genannt, für einen guten Zweck spenden.
„Die Gier war bei mir extrem ausgeprägt“, gibt er zu. Sie hat den gelernten Gastwirt und Kellner 1994 hinter Gittern gebracht. Weil er seinen Geschäftspartner töten ließ, wurde der Familienvater wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Mehr als 16 Jahre hat er davon in der Anstalt in Brandenburg/Havel verbüßt. Es besteht die Chance, dass die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt wird und Lieberam auf Bewährung rauskommt. Zuvor müsste er sich im offenen Vollzug bewähren.
Große Bedeutung für die Genehmigung durch das Justizministerium in Potsdam haben dabei die Aussichten auf einen Job. Lieberam will die Malerei zu seinem Broterwerb machen. Die Gefängnisleitung sucht derzeit nach einer Möglichkeit, wie dies zu schaffen ist, berichtet Gefängnissprecher Jens Borngräber.
„Etwa fünf Jahre habe ich gebraucht, um mich nach der Inhaftierung zu fangen“, erzählt der Häftling. Zunächst war der Vater zweier inzwischen erwachsener Kinder – wegen seines erlernten Berufs – im Bereich Verpflegung und Kiosk-Verkauf eingesetzt. Inzwischen ist aber auch die Arbeit kreativ: Lieberam arbeitet als Redakteur für die Gefangenenzeitschrift „Unsere Zeitung“, die sechsmal im Jahr erscheint, und zeichnet dafür auch Karikaturen. 1,40 Euro gibt es dafür pro Stunde - für das Malen gibt es nichts. Dabei leitet der Gefangene inzwischen zweimal in der Woche einen Malkurs für Mitgefangene. Doch die Malerei gilt als Freizeit. Auch seine Bilder bringen durchaus Geld – aber nicht in sein Portemonnaie. Verkaufserlöse wandern in den „Zeichenzirkeltopf“, berichtet Sprecher Borngräber. „Dafür werden dann Farbe, Pinsel und Leinwände gekauft“. Lieberam hat Fans: Neben Mitgefangenen und Vollzugsbediensteten gibt es „Kundschaft von Draußen“, wie der 58-Jährige sie nennt. Diese bestellt beispielsweise Landschaftsbilder oder Porträts, oft dienen Fotos als Vorlage. Für einige Bilder werden zehn Euro gezahlt, andere bringen bei öffentlichen Veranstaltungen der Haftanstalt auch dreistellige Beträge.
Anfangs malte Lieberam viele Werke des deutschen Biedermeier-Malers Carl Spitzweg ab. Inzwischen ist er ein Anhänger des international gefeierten Künstlers Neo Rauch aus Leipzig. Dadurch hat er sich an sein bislang größtes Werk von 2,00 mal 2,50 Meter gewagt: eine Hommage an seine Lieblingsband, die Rockgruppe Puhdys.
„Malen hinter Gitter hat einen anderen Stellenwert als draußen, genauso wie Briefe schreiben“, schildert Borngräber. Unter anderem bietet es die Chance, der Familie zu zeigen, dass man nicht nur Straftäter ist, sondern noch anderes Potenzial habe. „So hat eine Mutter das Bild ihres Sohnes voller Stolz rahmen lassen.“
Der Leipziger Künstler Karl Anton nennt weitere Vorteile: „Die Gefangenen kehren in der Haft die harte Seite heraus, weil Gefühle ausgenutzt werden könnten. Malen im Knast ist jedoch eine Nische, in der man die Gefühle hervorkramen kann.“ Der 57-Jährige war 28 Jahre lang im Vollzug tätig, rund 20 Jahre davon in Sachsen-Anhalt als Gefängnisleiter in Magdeburg und Halberstadt. Unter dem Motto „Kunst im Knast – Kunst aus dem Knast“ hat er Kurse hinter Gitter ermöglicht und draußen Ausstellungen mit Werken aus dem Gefängnis organisiert. „Ich bezeichne Bilder als Trainingseinheit für Gefühle“, sagt er. Gerade für Straftäter sei es enorm wichtig, mit ihrer Gefühlswelt umzugehen – die Malerei könne sei wichtiges Hilfsmittel sein. Vor etwa acht Jahren gab Anton die sichere Stelle auf und ist seitdem freischaffender Künstler. Sein jüngstes Projekt sind zehn Bilder in Erinnerung an das Zugunglück in Hordorf bei Magdeburg mit zehn Toten, die ab 20. März in Halberstadt zu sehen sein sollen.
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