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Brandenburg: Offenes Steuergeheimnis

Briefkasten im Finanzamt Wilmersdorf quoll über

Von Sandra Dassler

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Sonntag um elf in Wilmersdorf. Peter F. (Name geändert) hat es wieder einmal geschafft. Noch ein paar Schritte bis zum Finanzamt in der Blissestraße 5, dann wird er seine Einkommensteuererklärung, über die er in den letzten Nächten gesessen hat, in den Briefkasten einwerfen und wieder durchatmen können. Doch als Peter F. gestern Morgen den Briefkastenschlitz öffnet, quellen ihm Dutzende Briefe entgegen – große, kleine, dicke, dünne. Abgabetermin für die Einkommensteuererklärung war der 31. Mai, weil der aber auf einen Sonnabend fiel, wurde die Frist übers Wochenende verlängert.

Offenbar haben viele Wilmersdorfer ihre Steuererklärung erst jetzt abgegeben – wie Peter F., dem der vollgestopfte Briefkasten nicht geheuer vorkommt. „Ich hätte mir die Briefe mitnehmen können und schauen, was die Leute verdienen und wie ihre Bankverbindung ist. Das sind doch vertrauliche Unterlagen“, sagt er. F. versucht das Bezirksamt in Wilmersdorf zu erreichen, doch da ist nur ein Pförtner. Außerdem ist das Bezirksamt nicht für das Finanzamt zuständig. Er ruft bei der Polizei an und auch beim Tagesspiegel.

Eine Stunde später quillt der Briefkasten des Wilmersdorfer Finanzamts über. Doch keinen Bürger scheint das zu stören. Ein etwa 40-jähriger Mann mit Fahrrad und Sporttasche flucht zwar, weil er seinen Brief zwischen die andere Post quetschen muss, sieht aber keinen Grund zur Sorge. „Ja, das war meine Steuererklärung“, sagt er: „Ich komme nicht extra nochmal her. Wird schon nichts passieren.“ Er schultert seine Sporttasche und steigt aufs Rad. Ein älterer Herr lässt sein Auto im Halteverbot stehen – schnell rein mit der Erklärung. Auch er muss quetschen, der Kasten ist übervoll. Eine Frau sagt, sie müsse nur ihre Zinserträge angeben, weil sie Rentnerin sei.

Um 12.30 Uhr kommt endlich ein Mann vom Wachschutz und leert den Postkasten. Drei Wagen mit Briefen fährt er weg, es müssen tausende sein. Sagen darf der Wachmann nichts. Später stellt sich heraus, dass Peter F. die Polizeiwache 26 informiert und die den zuständigen Wachschutz ausfindig gemacht hat.

„Ich begreife nicht, wie Bürger so leichtfertig mit solch vertraulichen Daten und Angaben umgehen können“, sagt ein Polizeisprecher. Ein Berliner Steuerberater ist fassungslos: „So etwas habe ich noch nie gehört. Einerseits muss das Finanzamt damit rechnen, dass so viele Briefe kommen. Andererseits passiert in so einem Fall niemandem etwas, wenn er seine Steuererklärung einen Tag später abgibt.“ Die Sprecherin von Finanzsenator Thilo Sarrazin sieht keine Versäumnisse beim Wilmersdorfer Finanzamt.

Peter F. fragt sich, was ohne sein Eingreifen geschehen wäre. Hätten die Bürger ihre Steuererklärungen einfach vor die Tür gelegt? Sandra Dassler

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