Brandenburg: Orientierungslos zwischen Buchen
Der Grumsiner Buchenwald ist zum Unesco-Weltnaturerbe erklärt worden. Nun soll das Waldgebiet auch Touristen anlocken. Noch aber fehlt es an allem.
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Angermünde - Hans-Jürgen Bewer führt am Altkünkendorfer Feuerwehrhäuschen vorbei und zeigt auf einen bewaldeten Höhenzug. „Da ist er“, sagt der Ortsvorsteher des kleinen uckermärkischen Dorfes westlich von Angermünde sichtlich stolz. In rund 200 Metern Entfernung zeichnen sich am Horizont die Wipfel des Grumsiner Forsts ab. Seit vergangenem Sonnabend steht das etwa 670 Hektar große Waldstück im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin auf einer Stufe mit weltweiten Naturwundern wie den Everglades in Florida oder dem Grand Canyon in Arizona. Zusammen mit vier weiteren Buchenwäldern in Deutschland wurde der Grumsiner Wald von der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Paris zum Unesco-Weltnaturerbe erklärt. Nun soll das Areal möglichst schnell für Tagesbesucher und Touristen erschlossen werden. Für seinen Ort hat auch Bewer schon konkrete Vorstellungen.
Mit einem Radrundweg und einem Netz von ausgeschilderten Wanderwegen rund um den Kernbereich soll der seit rund 20 Jahren weitgehend sich selbst überlassene Buchenwald erlebbar gemacht werden. Deutschland gilt als das Land mit den meisten Buchenwäldern, jedoch sind weniger als ein Prozent naturbelassen. Bei Grumsin ist das durch die letzte Eiszeit stark geprägte Gelände von Mooren und Sümpfen durchzogen und Rückzugsgebiet für seltene Tiere wie den Schwarzstorch, den Schreiadler oder den Kranich. Um die Kosten für den Wegebau, die Beschilderung und den Aufbau von zusätzlichen Informationszentren abdecken zu können, hat das Biosphärenreservat beim Land einen Förderantrag über 400 000 Euro gestellt. „Jetzt, wo der Grumsiner Buchenwald den Weltnaturerbe-Titel erhalten hat, bin ich optimistisch, dass die Mittel bald fließen werden“, meint Axel Steffen, Leiter Naturschutz im brandenburgischen Umweltministerium. „Wir müssen uns auf einen Besucheransturm vorbereiten.“
Profitieren von der Faszination Weltnaturerbe Grumsiner Buchenwald sollen auch die umliegenden Ortschaften. Bereits jetzt zählt das Biosphärenreservat jährlich rund eine Million Besucher. Um Altkünkendorf und die anderen Orte am Wald machen die Tagesgäste jedoch meistens einen Bogen. Seit einem dreiviertel Jahr sitzen die Bürgermeister und Ortsvorsteher deshalb zusammen und feilen an der künftigen touristischen Infrastruktur. „Diese Ecke des Biosphärenreservats war bisher touristisch ein weißer Fleck“, räumt der Leiter des Schutzgebiets Hartmut Kretschmer ein. „Wir brauchen dringend Toilettenhäuschen, aber auch Gaststätten und Imbisse.“ Erfahrungen aus anderen Regionen im Land hätten bereits gezeigt, dass sich durch Naturschutz und Naturtourismus auch vor Ort eine Wertschöpfung erzielen lasse. „Wir werden dafür sorgen, dass es auch in den umliegenden Gemeinden zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung kommt“, verspricht Kretschmer.
In Altenkünkendorf sind die Pläne bereits weit fortgeschritten. Etwas unterhalb des Feuerwehrhäuschens will Hans-Jürgen Bewer 13 Besucherparkplätze schaffen. Ein altes typisch uckermärkiches Bauernhaus am Dorfanger soll zudem zu einem Informationszentrum mit Imbiss umfunktioniert werden. Betrieben werden soll es von zwei Mitgliedern des ortseigenen Heimat- und Kulturvereins. „Der Bürgermeister von Angermünde hat mir dafür zwei geförderte Stele zugesagt“, berichtet Ortsvorsteher Bewer. Allerdings sei es nicht so leicht gewesen jemanden zu finden, der die Aufgabe übernehmen wollte, gibt er zu. „Die Leute in der Uckermark sind halt immer etwas skeptisch, wenn etwas Neues kommt“, behauptet Bewer. Der zugereiste Altkünkendorfer gilt dagegen als einer der stärksten Befürworter des Weltnaturerbe-Titels. Am Samstag, dem Tag der Entscheidung in Paris, hat er extra die Glocken der Dorfkirche läuten lassen.
Ebenfalls skeptisch ist Tim Taeger, Geschäftsführer des Fördervereins Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, obwohl auch er für den Titel gekämpft hat. Seiner Meinung nach hätten die Fördermittel für die touristische Ausstattung des Waldgebietes längst fließen müssen. In Potsdam habe man aber stets auf die ausstehende Entscheidung in Paris verwiesen. Dabei würden Wanderer bereits seit mehr als einem Jahr, als die Bewerbung um den Titel bekannt geworden sei, gezielt nach dem Buchwald fragen. Nun habe es einen weiteren deutlichen Schwung gegeben. „Bereits am letzten Sonntag, also einen Tag nach Bekanntgabe der Entscheidung, waren die Waldwege zugeparkt. Die Autos stammten aus Hamburg, Lippstadt und aus Berlin. So viele Besucher halten sich sonst in der ganzen Woche nicht in dem Gebiet auf“, berichtet Taeger. Aber nichts sei vorbereitet, nirgendwo weisen Schilder den Weg. Die Besucher würden teilweise kreuz und quer durch die teils geschützten Areale laufen, dabei auch seltene Pflanzen schädigen, kritisiert der Fördervereinschef. „Mir graust schon vor den Sommerferien.“
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