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Rückzug. Deichrückverlegung bei Neuzelle. 32 Hektar wurden gewonnen.

© dpa

Brandenburg: Platznot in Ufernähe

Seit Langem fordern Naturschützer zum Schutz vor Hochwasser mehr Überflutungsflächen. Doch die Flächen in Flussnähe sind hart umkämpft

Von Matthias Matern

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Potsdam/Neuzelle - Nach dem Jahrhunderthochwasser von 2002 haben sie nun schon das zweite Mal die Menschen zwischen Havelberg und Wittenberge (Prignitz) vor dem Schlimmsten bewahrt – die Havelpolder. Rund 50 Millionen Kubikmeter Elbewasser hat das Land Brandenburg auf den ausgedehnten Rückstauflächen östlich von Havelberg geparkt und damit einen weiteren Anstieg der Pegelstände verhindert. Seit Langem schon fordern Naturschützer zum Schutz vor Hochwasserkatastrophen die Einrichtung weiterer Überflutungsflächen. Etwa zwei Drittel der Auenlandschaften Deutschlands seien eingedeicht und stünden somit nicht mehr als Rückstaufläche zur Verfügung, klagt der Naturschutzbund Deutschland (NABU). An Elbe, Rhein, Donau und Oder seien es sogar bis zu 90 Prozent. Doch wie mühsehlig es ist, Flüssen Land zurückzugeben, zeigen Bemühungen an der Oder.

Seit etlichen Jahren versucht das Land Brandenburg, dem Fluss zwischen Eisenhüttenstadt und Welzow (Oder-Spre) mehr Platz zu geben. Die sogenannte Neuzeller Niederung soll zum Flutungspolder werden. Bei Hochwasser soll sich die Oder auf insgesamt 1600 Hektar ausdehnen können. 32 Hektar konnten durch Deichrückverlegungen bereits gewonnen werden. Doch vor Ort stößt das Projekt auf erheblichen Widerstand. Nicht nur ansässige Laubenpieper wehren sich, auch Agrarbetriebe wie die Agrargenossenschaft Neuzelle lehnen den Flutungspolder ab. Die Bauern fürchten um ihre Existenzgrundlage. Zwar könnte das Land weiter genutzt werden, ein verlässlicher Ackerbau ist aber kaum noch möglich. Nach jeder Überschwemmung wäre der Boden für längere Zeit nicht mehr nutzbar, Gebäude müssten verschwinden.

Hans-Georg Köhler, Amtdirektor des Amtes Neuzelle, findet den Wunsch des Landes angesichts der aktuellen Situation an der Elbe für nachvollziehbar. Von der Grundtendenz würden sich die Leute in der Niederung gar nicht verweigern wollen, so der Verwaltungschef. „Die wollen aber wissen, wie groß der Effekt ist.“ Wenn dadurch bei Hochwasser gerade einmal für einen Tag der Pegelstand um zehn Zentimeter gesenkt werden könne, sei der Aufwand kaum zu rechtfertigen, so Köhler. „Außerdem wollen die Bauern eine klare Aussage zu Entschädigungen.“

Im Grunde genommen sollen die Bauern und Kleingärtner der Neuzeller Niederung ausbaden, was das Land Ende der 90er-Jahre wenige Kilometer nördlich versäumt hat. Nach zwei Deichbrüchen läuft die sogenannte Ziltendorfer Niederung Ende Juli 1997 voll, binnen weniger Stunden werden Häuser bis zum Dach vom Oderwasser eingeschlossen, 2000 Menschen müssen ihr Zuhause verlassen. Allein der Gesamtschaden an Privathäusern in Deutschland durch die Oderflut wurde auf 13,9 Millionen Euro geschätzt. Bereits damals, kurz nach der Flut, rieten Fachleute, die Ziltendorfer Niederung dem Fluß zurückzugeben. Stattdessen wurden die Häuser wieder aufgebaut.

Das Einrichten des Flutungspolders bei Neuzelle kostet nach Schätzung des brandenburgischen Landesumweltamtes rund zehn bis 15 Millionen Euro. Knackpunkt dabei sind die Forderungen der Kleingärtner und Landwirte. „Wir sind bisher daran gescheitert, dass wir die Entschädigungszahlungen nicht aufbringen können“, räumt Brandenburgs Umweltministerin Anita Tack (Linke) ein. Infrastrukturminister Jörg Vogelsänger (SPD) habe sich deshalb bereits an den Bund gewendet. „Wir brauchen eine gemeinsame Verantwortung“, fordert Tack.

Neben den Havelpoldern, die aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammen, gibt es in Brandenburg noch Polderflächen bei Schwedt/Oder (Uckermark) und neu geschaffene Flutungsflächen bei Lenzen in der Prignitz. Tack zufolge sollen zudem bei Mühlberg an der Elbe ein 180 Hektar großer Polder und bis zu 90 Hektar Überflutungsfläche entstehen. Auch der NABU sieht in der Bereitstellung von Rückstauflächen eine nationale Aufgabe. Der Bund müsse den Bauern so viel zahlen, dass sie auf die Ertragsfähigkeit ihrer Böden verzichten und dennoch ihre Kredite abzahlen können, meint Rocco Buchta, der an der unteren Havel ein NABU-Projekt zur Renaturierung alter Rückstauflächen leitet. „Landwirte sind nicht die Täter, sondern Opfer einer Politik, die seit dem Mittelalter betrieben wird“, so der Naturschützer.

Um das Problem zu lösen, fordert der NABU einen Pakt mit der Landwirtschaft. Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) dagegen hält sogar Enteignungen „in letzter Konsequenz“ für vertretbar. So weit will es Udo Folgart, Präsident der brandenburgischen Landesbauernverbandes, nicht kommen lassen. „Landwirte sind doch die letzten, mit denen man nicht darüber reden kann“, versichert der Funktionär. Allerdings gebe es Eigentumsrechte, die man nicht ausblenden dürfe. Reinhard Jung vom Bauernbund Brandenburg jedoch traut den Naturschützern offensichtlich nicht so recht über den Weg: „Bei den Bauern ist durchaus das Bewusstsein dafür da, dass ackern bis zum Rand nicht funktioniert. Aber das alte Nabu-Spielchen, für angeblich gemeinnützige Zwecke zu enteignen, machen wir nicht mit.“

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