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Brandenburg: Politologe wirft SPD „Zensur“ vor Enquete-Gutachten:

Streit eskaliert

Stand:

Potsdam - Nach dem Eklat um sein jüngstes Gutachten für die Enquete-Kommission zur SED-Diktatur im Land hat der Berliner Politologe Steffen Alisch der brandenburgischen SPD „Zensur“ vorgeworfen. In einer Erklärung verwahrte sich der Wissenschaftler vom Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin dagegen, dass der SPD-Abgeordnete Thomas Günther seine Expertise zum DDR-Geschichtsbild von brandenburgischen Parteien und Organisationen als „unwissenschaftliche Streitschrift“ bezeichnet hatte. Dies sei „ehrenrührig“, so Alisch. Der Zensurversuch sei ein neuer Höhepunkt einer „langen Reihe von Mobingattacken gegen unabhängige Gutachter durch Vertreter der Regierungskoalition“. Der SPD-Politiker habe offensichtlich noch nicht verstanden, „dass in einer freiheitlichen Demokratie nicht Parteifunktionäre über die Qualität wissenschaftlicher Texte entscheiden“.

In seinem abgelieferten Gutachten hat Alisch den Parteien Defizite im DDR-Bild und wenig Interesse am Umgang mit der Diktatur bescheinigt. Wie berichtet war Günther unter Verweis auf subjektive Formulierungen und zugespitzte Wertungen mit der Kritik und der Forderung nach Nachbesserungen Ende der Woche gemeinsam mit dem SPD–Experten Ingo Juchler in die Öffentlichkeit gegangen. Beide verstießen damit gegen die internen Regularien der Kommission. Die Enquete-Vorsitzende Susanne Melior (SPD) wollte dies nicht kommentieren. Allerdings betonte Melior, dass sie weder Kenntnis von dem Vorgehen hatte, noch es mit ihr abgestimmt gewesen sei. „Ich wusste davon nichts.“ Sie machte zugleich deutlich, dass auch sie nicht zufrieden mit der Alisch-Expertise sei.

Der weitere Umgang mit dem noch nicht abgenommen Gutachten – es geht auch um den Werkstattvertrag und das Honorar – wird nun zum Politikum. Der SPD-Abgeordnete Günther als zuständiger parlamentarischer Berichterstatter will es wegen Qualitätsmängeln nicht annehmen, das Enquete-Mitglied, der ebenfalls am Forschungsverbund SED–Staat tätige Klaus Schroeder, empfiehlt Zustimmung. In so einem Fall, so Melior, „muss erstmalig die gesamte Enquete-Kommission darüber entscheiden, ob ein Gutachten angenommen wird“. Die Opposition von CDU, Grünen und FDP wittert einen Versuch, die Enquete zu torpedieren und vor Beratung in der Kommission ein Gutachten öffentlich zu „zerschießen“.

Melior bestätigte den PNN, dass sie – über eine Anfrage der Verwaltung bei Universitäten, „nicht durch ein teures neues Gutachten“ – zur Bewertung einen Katalog von wissenschaftlichen Kriterien vorlegen will. „Die Frage ist ja berechtigt“, sagte Melior, die damit einer Bitte ihres Vizes Dieter Dombrowski (CDU) nachkommt. In einem Schreiben an Melior hatte dieser um einen Bewertungskatalog gebeten, „der auf alle bisherigen und künftigen Gutachten der Enquete-Kommission gleichermaßen angewendet werden kann.“ Was mit dem Alisch-Gutachten nun passiert, wird die Enquete-Kommission voraussichtlich erst am 4.November entscheiden, da Schroeder als zuständiger Experten-Berichterstatter bei der nächsten Sitzung am 23. September nicht anwesend sein kann. Die Scharmützel in der Enquete-Kommission, die den Umgang mit der SED-Diktatur im Brandenburg der Nachwendezeit untersuchen soll, gehen weiter. Thorsten Metzner

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