Autobrandstiftung: Polizei kontrollierte flächendeckend Handydaten
Die Ermittlungsmethode gegen Autobrandstifter, von der auch Unbeteiligte betroffen sind, provoziert Kritik von Politikern und Datenschützern. Es wird Aufklärung im Parlament gefordert.
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Um Autobrandstifter zu fangen, hat die Berliner Polizei in den vergangenen Jahren offenbar in großem Umfang Handy-Verbindungsdaten ausgewertet – eine Maßnahme, von der auch Unbeteiligte betroffen wären. Die Staatsanwaltschaft konnte auf Anfrage gestern nicht beziffern, wie oft dieses Überwachungsinstrument bei der Fahndung nach Straftätern genutzt werde. Ihr Sprecher Martin Steltner sagte mit Blick auf die Serie von Autobränden im letzten Sommer, seiner Einschätzung nach sei diese Maßnahme „in erheblichem Maße“ genutzt worden.
Generell seien diese Abfragen „nicht unüblich“, um bei schweren Straftaten Hinweise auf Täter zu bekommen. Grundlage seien stets richterliche Beschlüsse.
Das Internetblog netzpolitik.org hatte am Donnerstag Dokumente zu einem Fall von Autobrandstiftung in Friedrichshain im Oktober 2009 veröffentlicht, bei dem ein Fahrzeug brannte – laut den veröffentlichten Unterlagen mit „geringem Sachschaden“. Aus ihnen geht hervor, dass die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Tiergarten mit Erfolg beantragte, die Verkehrsdaten von insgesamt dreizehn Mobilfunkzellen auswerten zu dürfen. Dabei ging es nicht darum, die Handys konkret verdächtiger Personen zu überwachen, sondern es wurden die Verbindungsdaten aller Personen überprüft, die zwischen 3:45 Uhr und 5 Uhr morgens im fraglichen Gebiet ihr Handy nutzten.
Ausgewertet wurden Daten, die aufgrund der Vorratsdatenspeicherung erhoben worden waren. Überprüft werden kann so beispielsweise, wer wann wie lange und mit wem telefonierte – der Inhalt eines Gesprächs wird von einer solchen Überwachung aber nicht erfasst. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat die Echtheit der Dokumente bisher weder bestätigt noch bestritten. Sie gelten in Polizeikreisen jedoch als „vermutlich authentisch“. Im vergangenen Jahr hatte ein vergleichbarer Fall in Dresden heftige Debatten ausgelöst: Während einer Demonstration gegen Neonazis wurden mehr als eine Million Handydaten gesammelt und später ausgewertet. Im Nachgang der Affäre wurde der Dresdner Polizeipräsident Dieter Hanitsch abberufen.
Die jetzt bekannt gewordene Berliner Praxis provozierte Kritik von Politikern und Datenschützern. Christopher Lauer, innenpolitischer Sprecher der Piratenfraktion, sagte, falls sich die Berichte bewahrheiteten, handele es sich um einen „massiven Eingriff in die Grundrechte“. Er forderte Innensenator Frank Henkel (CDU) auf, die Ereignisse „lückenlos aufzuklären“. In der nächsten Sitzung des Innenausschusses am Montag wollen die Piraten das Thema zur Sprache bringen. Auch in der rot-schwarzen Koalition gibt es Bedenken, ob die flächendeckende Handykontrolle gerechtfertigt war. „Man muss sich angucken, ob der Ermittlungsansatz in dem Umfang tatsächlich richtig ist“, sagte der SPD-Rechtspolitiker Sven Kohlmeier. Er sei „skeptisch“, ob das Vorgehen datenschutzrechtlich akzeptabel sei. Der Landesdatenschutzbeauftragte Alexander Dix forderte von der Polizei eine Stellungnahme. Sein Sprecher Joachim-Martin Mehlitz bezeichnete es als „generell problematisch, wenn nicht-individuelle Daten abgefragt werden“, sondern flächendeckend Telefonverbindungen auch von Unverdächtigen untersucht werden.
Die Grünen sehen ebenfalls „erheblichen Aufklärungsbedarf“. Der innenpolitische Sprecher im Abgeordnetenhaus, Benedikt Lux, forderte mit dem Instrument der Funkzellenauswertung sensibel umzugehen. Die Abfrage greife in die Rechte tausender Unbeteiligter ein, „weil deren Daten notwendigerweise mit erhoben werden“. Der Linken-Rechtspolitiker Klaus Lederer bezeichnete die Telefonkontrollen als „absolut unangemessen“.
Die Berliner Polizei wollte sich am Donnerstag zunächst nicht zu den Dokumenten äußern. Ein Sprecher gab auch keine Auskunft darüber, in welchem Umfang die sogenannte Funkzellenauswertung bei Ermittlungen nach Autobränden generell angewandt werde. Die Frage, wie viele Handynutzer von der Übermittlung ihrer Verbindungsdaten betroffen gewesen sein könnten, blieb ebenfalls offen.
Im März 2010 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die Vorratsdatenspeicherung in der bis dahin praktizierten Form gegen das Grundgesetz verstoße. Eine EU-Richtlinie verpflichtet Deutschland, die Vorratsdatenspeicherung gesetzlich zu verankern. Um die Umsetzung dieser Richtlinie streitet sich im Moment die schwarz-gelbe Regierungskoalition auf Bundesebene.
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