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Mit Pyro und Rammbock attackiert: Ein linker Rückzugsort, dessen Tür einem Bunkereingang gleicht
Rechtsextreme Angriffe gegen die „Zelle79“ erreichen dieses Jahr eine neue Dimension. Über ein linkes Cottbuser Hausprojekt im Visier von Neonazis.
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Es ist eine ungewöhnliche Gegend, die das Stadion der Freundschaft von Energie Cottbus umschließt. Auf der einen Seite der unattraktive, Auto-dominierte Stadtring, auf der anderen Seite die Spree, in der man hier sogar baden kann. Dahinter eingequetscht zwischen zwei Bahnübergängen Jugendclubs, Werkstätten, Gewerbe, einzelne Wohnhäuser und eine Fußballkneipe. Mittendrin, etwas fehl am Platz, wie ein falsch navigiertes Ufo: das alternative Hausprojekt „Zelle79“.
Schon die bunt bemalte Fassade fällt aus dem Rahmen in dem Areal. Graffiti prangen an den Wänden, immer mal wieder flattert eine Regenbogenflagge aus den Fenstern. Seit 1999 leben in der „Zelle79“ auf mehreren Etagen Menschen, die das selbstverwaltete Wohnen schätzen. Ursprünglich aus einer Hausbesetzung hervorgegangen, steht das Gebäude mittlerweile seit vielen Jahren für alternative Kultur, Bildung und bietet einen der rar gesäten antifaschistischen Rückzugsorte in Cottbus.
Werkstatt, Infoladen, Bar
Das Hausprojekt bietet eine Werkstatt, einen Infoladen, eine Küche, eine Bar und einen Projektraum. „Wir wollen in Cottbus wie eine Distel im Beton wachsen und unseren Beitrag für eine befreite Gesellschaft leisten“, heißt es in der Selbstbeschreibung. Diese Distel im Beton seien Linksextremisten, ist sich unterdessen die AfD sicher.
In einer ausführlichen Anfrage an die Brandenburger Landesregierung erbat sich die Fraktion bereits vor fünf Jahren Antworten auf die vermuteten linksextremen Umtriebe in der „Zelle79“. Diese fielen dann recht nüchtern aus. „Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse zu den angefragten Sachverhalten vor.“
Tatsächlich dürfte im Gegensatz zur AfD den meisten hinlänglich bekannt sein, dass die Gefahr in Cottbus und Umgebung weniger von linksradikalen als von rechtsextremen Kreisen ausgeht. In den vergangenen Jahren wurde die „Zelle79“ immer wieder zum Ziel von Anschlägen und Attacken. Schon lange schützt eine mehrfach gesicherte Tür den Eingang zum Haus. In diesem Frühjahr erreichte die Bedrohung eine neue Dimension.
Fabi, die eigentlich anders heißt, wohnt in dem Hausprojekt. Dieser Freitag Ende Mai sei eigentlich ein ganz normaler Abend gewesen, erzählt sie, „total ruhig“. Fabi macht sich gerade fertig fürs Bett, als es knallt. „Ich bin sofort zum Fenster gelaufen, da war schon alles rot, alles verraucht.“ Die Zelle-Bewohner hören noch, wie die vermummten Angreifer eine Parole schreien, die schon bei den rechtsextremen Ausschreitungen 2018 in Chemnitz zu hören war: „Wir sind die Krieger, wir sind die Fans, Adolf-Hitler-Hooligans“.
Neonazis wollten ins Haus eindringen
Dann versuchen die Neonazis, ins Haus einzudringen. Mit einem Rammbock stoßen sie gegen die Eingangstür. „Das hat das ganze Haus erschüttert“, sagt Fabi. Doch die Metalltür hält stand. Irgendwann lassen die Angreifer ab und werfen mehrere Pyro-Fackeln gegen die Fassade und auf den Hinterhof. Ein Brand bricht aus, der zum Glück schnell gelöscht werden kann.
Die Attacke auf die „Zelle79“ im Mai ist der vorläufige Höhepunkt einer Reihe von Angriffen, die sich seit Jahren gegen das Hausprojekt richten. Steinwürfe, körperliche Angriffe auf Bewohner, „Sieg-Heil“-Schriftzüge auf der Fassade. Auch nach dem Brandanschlag im Mai reißen die Vorfälle nicht ab. Anfang Juni zünden Unbekannte einen Busch vor dem Haus an. Eine Woche später filmen die Bewohner eine Gruppe vermummter Jugendlicher vor dem Haus. Sie schreien „Zelle79 – Jude, Jude, Jude“.

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Die direkten, unmittelbaren Attacken auf das Haus und seine Bewohner sind das eine, das, was rund um das Gebäude passiert, das andere. Rechtsextreme Sticker, rassistische und antisemitische Parolen, Hakenkreuze an den Wänden. „Ganz stumpfer Rassismus und Antisemitismus“, sagt Fabi. Vor allem rechte Jugendliche seien in der Gegend aktiv, teilweise seien die erst 13 oder 14 Jahre alt.
Dazu kommt die Nähe zum Energie-Stadion. Teile der organisierten Szene des Drittligisten gelten seit mittlerweile Jahren als eindeutig rechts, die Gruppierung „Inferno Cottbus“ und die jungen Ultras der „Unbequemen Jugend“ vereinen vor allem aktions- und teilweise auch gewaltorientiertes Klientel. Beide Gruppen wurden bereits vor Jahren verboten. Dass die Strukturen seitdem weiterbestehen, ist aber ein offenes Geheimnis.
Reisende werden in Cottbus entlang der Bahnstrecke mit Stromkästen in Farben der Reichsflagge begrüßt, direkt daneben Graffiti von Energie Cottbus. Die Nähe ist unübersehbar. TikTok und andere soziale Netzwerke würden die Radikalisierung sehr junger Menschen weiter anheizen, beobachtet Fabi von der „Zelle“.

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Wie ist es, ständig zum Ziel zu werden, andauernd Angst vor dem nächsten Übergriff haben zu müssen? „Ich bin seit dem Angriff Ende Mai nicht zur Ruhe gekommen“, sagt Fabi, „deswegen konnte ich noch nicht herauszufinden, was das langfristig mit der Psyche macht.“
Die Attacken auf das Cottbuser Hausprojekt geschehen nicht im luftleeren Raum. Ricarda Budke saß bis 2024 für die Grünen im Brandenburger Landtag und ist seit kurzem Sprecherin des neu organisierten Bündnisses „Sichere Orte“. Die Initiative hat sich in Reaktion auf verstärkte Angriffe gegen alternative und kulturelle Orte im Süden Brandenburgs gegründet.

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„Wir merken in Südbrandenburg, dass die rechte Gewalt zunimmt. Die Präsenz wird stärker. Rechte Graffiti, Sticker, die Situation an den Schulen“ sagt Budke, um dann ganz konkret zu werden: „der Brandanschlag auf das Kulturhaus in Altdöbern, die Attacken auf die Zelle, Angriff auf die Jugendclubs Jamm in Senftenberg und Erebos in Spremberg“.
Die Ursachen für die Welle an Attacken seien unterschiedlich, sagt Budke, grundsätzlich sei aber ein deutschlandweiter, sogar weltweiter Rechtsruck zu beobachten. „Vieles, was vor kurzem noch nicht gesagt wurde, darf jetzt wieder gesagt werden“, betont sie. Brandbeschleuniger sei dabei auch die AfD.
Eine Rückkehr in die sogenannten „Baseballschlägerjahre“ der 90er Jahre, in der Skindheads für Angst und Schrecken sorgten? Haben die jemals richtig geendet, fragt Budke zurück, schließlich habe es auch in den vergangenen 20 Jahren immer wieder Angriffe gegeben. Trotzdem gebe es einen entscheidenden Unterschied: „Mit der AfD gibt es nun auf einmal einen parlamentarischen Arm der Szene“, sagt Budke.
Doch noch etwas ist anders im Vergleich zur rechten Gewaltwelle in den Folgejahren der Wiedervereinigung. „Die Solidarität auch öffentlicher Stellen ist sehr viel größer“, betont Ricarda Budke, die Sensibilisierung sei deutlich gewachsen. Auch Fabi von der „Zelle79“ bestätigt das. Die Zusammenarbeit mit der Polizei sei aktuell nicht zu beanstanden, diese nehme die andauernden Angriffe sehr ernst, außerdem sei man im engen Austausch mit der Stadt Cottbus und Oberbürgermeister Tobias Schick (SPD).
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