HINTERGRUND: Rocker auf der Straße nach Süden? Hochburgen Potsdam und Cottbus
Ermittler befürchten Eskalation der Revierkämpfe in der Region und eine Ausweitung nach Sachsen
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Potsdam/Görlitz/Berlin - Die Western-Fans wurden Zeugen eines martialischen Auftritts: Am Herrentag stürmten etwa 20 Motorradfahrer in Rocker-Outfit die Herrentagsparty auf der Country-Ranch im sächsischen Dörfchen Trebendorf nahe der Landesgrenze zu Brandenburg. Der rasante Auftritt der Rocker verfehlte die beabsichtigte Wirkung nicht: In Panik flohen die Gäste aus dem Veranstaltungsgebäude der Western-Anlage als sich die Rocker über das Sicherheitspersonal der Ranch und vor allem die Beschützer der gerade Tanzenden Go-Go-Girl-Gruppe hermachten. Das Ergebnis: eine Massenschlägerei, eine zunächst ratlose örtliche Polizei und ein verängstigter Ranch-Betreiber.
Was sich im regionalen Polizeibericht zunächst als etwas größere Schlägerei von lokaler Bedeutung las, entpuppt sich zunehmend als Südausläufer eines handfesten Bandenkrieges im Rockermilieu in Berlin und Brandenburg. Nach Ansicht von Berliner und brandenburgischen Ermittlern geht es dabei lange nicht mehr nur um die Vormachtstellung in der Rockerszene sondern um die Herrschaft in der Türsteherszene und beim lokalen Drogenhandel. Die Beteiligten: Angehörige zweier weltweit operierender Motorradclubs (MC): die „Hell´s Angels und die Bandidos.
Polizeidirektion und Staatsanwaltschaft Görlitz ermitteln inzwischen nicht mehr nur wegen Körperverletzung sondern auch wegen schweren Landfriedensbruchs in Sachen Trebendorf. Ein Ermittler gestand: „Wir waren zunächst ratlos – so etwas hatten wir hier noch nicht.“ Nach Aussagen mehrerer szenekundiger Beamter gehörte das Sicherheitspersonal der Ranch – zumindest das der Girl-Gruppe zum Umfeld der Hell´s Angels.
Bestätigt sich, was Ermittler in Brandenburg und Berlin derzeit vermuten, könnte für die sächsischen Kollegen alles noch viel schlimmer kommen, könnte in Sachen Party-Sturm noch versuchter Totschlag oder gar versuchter Mord hinzu kommen.
Denn am Herrentags-Abend kam schleppte sich Salid A. ins Krankenhaus im süd-brandenburgischen Spremberg. Salis A. ist Bandidos-Chef in Cottbus. Bei der dortigen Staatsanwaltschaft wird derzeit ein „Verfahren wegen schwerer Körperverletzung und versuchten Totschlags zum Nachteil von Salid A.“ geführt. Der lokale Rocker-Chef hatte sich in Spremberg wegen einer Schussverletzung operieren lassen müssen: Ein Projektil aus einer Kleinkaliberwaffe hatte seinen Brustkorb durchschlagen, ohne größere Verletzungen zu hinterlassen. Derzeit überprüfen die Beamten, ob er – wie er selbst behauptet – bei einer Rast während einer völlig harmlosen Bike-Tour auf einem Autobahnrastplatz angeschossen wurde oder ob mehr dahinter steckt. „Es ist gut möglich, dass er bei dem Überfall in Trebendorf dabei war und dort verletzt wurde“, sagt ein Ermittler. Es sei auch möglich, dass er von Trebendorf aus von Rockern aus dem Umfeld der Hell´s Angels verfolgt wurde und dass d dann tatsächlich auf einem Parkplatz an der Autobahn gezielt auf ihn geschossen wurde.
Neu wären Verfolgungsjagden und Racheangriffe nicht in der Szene. Seit Jahren kommt es in Berlin und Brandenburg immer wieder zu handfesten, zunehmend auch mit Waffengewalt ausgetragenen Auseinandersetzungen zischen beiden Gruppen und sie unterstützenden kleineren lokalen Motorradklubs. Die Sicherheitsbehörden in beiden Ländern führten mehrfach Razzien in der Szene durch. Erst in der Nacht zum gestrigen Dienstag durchsuchte die Berliner Polizei die Wohnungen von sechs Hell´s Angels-Mitgliedern in Berlin und Brandenburg. Zuvor war es, wie gestern berichtet, zu einer Schlägerei zwischen Hell´s Angels und Bandidos in Berlin gekommen.
Im März hatte die Berliner Polizei bei einer Großrazzia in Berlin und Brandenburg gegen die Hell´s Angels eine scharfe Waffe gefunden. Anlass für die Aktion war die Festnahme zweier führender Mitglieder des Motorradclubs im September 2006. Bei einer Kontrolle ihres Wagens im Parkhaus im Berliner Europa-Center waren bei den Männern scharfe Waffen gefunden worden.
Im Sommer letzten Jahres war der seit Jahren schwelende Streit der verfeindeten Rocker um die Vormachtstellung in Berlin und Brandenburg eskaliert. Im Juni hatten Bandidos in Berlin auf ein Mitglied der Hell`s Angels gefeuert, ihn jedoch verfehlt. Mehrfach war es der Polizei danach nur knapp gelungen, gewalttätige Auseinandersetzungen zu verhindern. Im November 2006 waren 130 Bandidos in Brandenburg kurz vor einem Überfall auf die Hell´s Angels festgenommen worden. In Potsdam Babelsberg hatten sich verfeindete Rocker – ebenfalls im Vorjahr – eine Schlägerei auf einem Parkplatz mitten in Babelsberg geliefert. Brandenburg gilt bei den weltweit agierenden Rockergangs als Schlüsselgebiet für ganz Ostdeutschland. Der Grund: Gefestigte Strukturen und lukrative Einnahmequellen haben die Gangs vor allem in der Metropole Berlin.
Auf Anfrage eines SPD-Abgeordneten erklärte des Innenministerium Brandenburg jüngst, Hell´s Angels und Bandidos seien bis Anfang des Jahres 2006 im Land Brandenburg so gut nicht vertreten gewesen. Rockerfrei war die Mark bis dahin aber nicht: Zunächst hatte ein kleinerer Klub mehr Zulauf im Osten – der Gremium MC. Von Gremium existierten damals Ableger (Chapter) in Cottbus, Spremberg, Frankfurt (Oder) und Potsdam.
Der so genannte Rockerkrieg in der Region tobte außerhalb Berlins vor allem im Süden Brandenburgs. Denn während in anderen Gegenden Brandenburgs bis auf kleinere Zwischenfälle von allen beteiligten Klubs wert auf Diskretion gelegt wurde, kam es im Raum Cottbus/Senftenberg im Sommer 2006 zu erheblichen Spannungen. Der Grund: In Westdeutschland gehören die Gremium MCs mehrheitlich zum Unterstützerkreis der Hell´s Angels. Auch in Südbrandenburg war dies so geplant. Doch im Sommer 2006 entschied sich der Cottbusser Gremium-Ableger für den „Feind“ – die Bandidos. Das führte zunächst hauptsächlich in Berlin zu Spannungen zwischen den Häuptlingen der verfeindeten Klubs. In Cottbus angelten sich die Hell´s Angels daraufhin den Konkurrenzverein FRONTAL, eine Gruppe von Kampfsportlern, Tattoo-Studio-Betreibern und Türstehern. „Das war der Beginn des Rockerkrieges in Süd-Brandenburg“, resümiert ein Ermittler aus dem Raum Cottbus
In Cottbus und Berlin wollen sich demnächst die Ermittler aus dem nördlichen Sachsen zum Erfahrungsaustausch melden. Denn auch in Sachsen würden sie nun selbst in kleineren Orten im Raum Weißwasser/Görlitz versuchen, was ihnen in Berlin und in brandenburgischen Städten wie Potsdam und Cottbus schon weitgehend gelungen ist: Die Übernahme der Türsteher- und von Teilen der lokalen Drogenszenen.
Seit Monten registrieren sie, wie Rocker die Bewachung von und den Drogenhandel in Diskotheken übernehmen. In der Kleinstadt Schleife nahe Brandenburg seien die ersten Rocker eines Ablegers des Gremium MC mit besten Verbindungen zu den Bandidos in Cottbus und Berlin als Türsteher aufgetaucht. Selbst in einem Dörfchen hätten sie eine einstige Neonazi-Disko in ihre Hand gebracht und auf fein getrimmt. In beiden Lokalen floriere nun der Drogenhandel, berichtet ein Ermittler. Der Western-Freund aus Trebendorf, meint ein ratloser Ermittler in Görlitz, habe „wohl nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera“ – zwischen der Beachtung durch die Hell´s Angels oder Schutz durch die Bandidos. „Dann hat der seine Ranch nicht mehr lange selbst in der Hand“, sagt ein erfahrenerer Berliner Ermittler. Warum, das hatte Berlins Polizeipräsident im November nach der Razzia in Cottbus erklärt: „Wer den Kampf um die Tür gewinnt, der hat das Geschäft.“
Im Land Brandenburg gab es Anfang des Jahres 16 Chapter (Ableger) von insgesamt sieben bundesweit vertretenen Motorradclubs. Landesweit werden dem harten Kern der Rockerszene etwa 50 bis 60 Personen zugerechnet. Potsdam – wo Gremium noch einen eigenen Ableger hat und vor Diskotheken seine Türsteher platziert hat – und Cottbus gelten den brandenburgischen Ermittler als Hochburgen der Rockerszene. In beiden Städten werden etwa jeweils 20 Rocker dem harten Kern zugeordnet, so Toralf Reinhardt, Sprecher des Landeskriminalamtes Brandenburg. Rein statistisch ist laut Innenministerium der Anteil der Rocker an den Straftaten in Brandenburg äußerst gering. pet
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